Urteil Nº 7B 434/2023 Bundesgericht, 29-08-2023

Date29 août 2023
Judgement Number7B 434/2023
Subject MatterStrafprozess Haftentlassungsgesuch im massnahmenrechtlichen gerichtlichen Nachverfahren
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_434/2023
Urteil vom 29. August 2023
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Hurni, Hofmann
Gerichtsschreiber Forster.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm,
gegen
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, Güterstrasse 33,
Postfach, 8010 Zürich.
Gegenstand
Haftentlassungsgesuch im massnahmenrechtlichen gerichtlichen Nachverfahren,
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts
des Kantons Zürich, Präsident der I. Strafkammer, vom 11. Juli 2023 (SF230006-O/U).
Sachverhalt:
A.
A.a. Am 25. April 2013 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich A.________ wegen vorsätzlicher Tötung sowie mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz rechtskräftig zu acht Jahren Freiheitsstrafe; ausserdem ordnete es eine stationäre Massnahme für den Verurteilten an. Das kantonale Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung hob mit Verfügung vom 2. September 2021 die stationäre Massnahme infolge Aussichtslosigkeit rechtskräftig auf und beantragte beim Bezirksgericht Zürich die Prüfung einer Verwahrung des Verurteilten und die Anordnung von Sicherheitshaft für die Dauer des massnahmenrechtlichen gerichtlichen Nachverfahrens.
A.b. Mit Verfügungen vom 8. September bzw. 15. Dezember 2021, 2. Juni 2022 sowie 18. Januar, 28. April und 12. Mai 2023 ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Bezirksgerichts Zürich die Sicherheitshaft für den Verurteilten an bzw. verlängerte es diese. Mit Beschluss vom 24. Mai 2023 ordnete das Bezirksgericht Zürich die nachträgliche Verwahrung des Verurteilten (im Sinne von Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB) an, und es verlängerte die Sicherheitshaft bis zum Antritt der Verwahrung, einstweilen längstens bis zum 23. November 2023.
B.
Am 12. Juni 2023 stellte der Verurteilte beim mit dem nachträglichen Massnahmenverfahren befassten Obergericht ein Haftentlassungsgesuch. Mit Verfügung vom 11. Juli 2023 wies das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, Präsident, das Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Sicherheitshaft bis zum 23. November 2023.
C.
Gegen die Verfügung des Obergerichtes vom 11. Juli 2023 gelangte A.________ mit Beschwerde vom 10. August 2023 an das Bundesgericht. Er beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheides seine unverzügliche Haftentlassung.
Die kantonale Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben am 15. August 2023 je ausdrücklich auf Stellungnahmen verzichtet.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über ein Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft im selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren (Art. 363 ff. StPO) vor dem Berufungsgericht, mit dem die Sicherheitshaft bis zum 23. November 2023 verlängert bzw. bestätigt wurde (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG i.V.m. Art. 364b Abs. 3 und 4 sowie Art. 227 und 233 StPO). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt.
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines ausreichenden strafprozessualen Haftgrundes im Sinne von Art. 364a Abs. 1 lit. b StPO. Eine negative Rückfallprognose für weitere schwere Gewaltverbrechen könne aktuell nicht gestellt werden. Selbst im Falle von Wiederholungsgefahr könne dieser mit Ersatzmassnahmen für Sicherheitshaft (Art. 237 StPO) ausreichend begegnet werden. Die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz seien willkürlich. In prozessualer Hinsicht rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV)
3.
3.1. Die Anordnung und Fortsetzung von Sicherheitshaft während des massnahmenrechtlichen selbstständigen gerichtlichen Nachverfahrens nach Art. 363 ff. StPO sind in Art. 364a und 364b StPO geregelt. Nach Art. 364a Abs. 1 StPO kann die Behörde, die für die Einleitung des Verfahrens auf Erlass eines selbstständigen nachträglichen Entscheids des Gerichts zuständig ist, die verurteilte Person festnehmen lassen, wenn ernsthaft zu erwarten ist, dass gegen die Person der Vollzug einer freiheitsentziehenden Sanktion angeordnet wird (lit. a) und die Person sich deren Vollzug entzieht (lit. b Ziff. 1) oder erneut ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen begeht (lit. b Ziff. 2). Laut Art. 364a Abs. 2 StPO richtet sich das Verfahren sinngemäss nach den Artikeln 222-228 StPO.
Gemäss Art. 364b Abs. 1 StPO kann die Verfahrensleitung des Nachverfahrens die verurteilte Person unter den Voraussetzungen von Art. 364a StPO festnehmen lassen. Sie führt in sinngemässer Anwendung von Art. 224 StPO ein Haftverfahren durch und beantragt dem Zwangsmassnahmengericht beziehungsweise der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts die Anordnung der Sicherheitshaft. Das Verfahren richtet sich sinngemäss nach den Artikeln 225 und 226 StPO (Art. 364b Abs. 2 StPO). Bei vorbestehender Sicherheitshaft richtet sich das Verfahren sinngemäss nach Art. 227 StPO (Art. 364b Abs. 3 StPO). Im Übrigen gelten die Artikel 222 und 230-233 StPO sinngemäss (Art. 364b Abs. 4 StPO).
3.2. Der Beschwerdeführer wurde bereits wegen vorsätzlicher Tötung und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz rechtskräftig verurteilt. Ein dringender Tatverdacht von untersuchten Vergehen oder Verbrechen (im Sinne von Art. 221 Abs. 1 Ingress StPO) ist daher bei Sicherheitshaft im massnahmenrechtlichen gerichtlichen Nachverfahren nicht mehr zu prüfen (BGE 137 IV 333 E. 2.3.1; Urteile 1B_41/2019 vom 19. Februar 2019 E. 2.4; 1B_569/2018 vom 28. Januar 2019 E. 4.1; 1B_486/2018 vom 22. November 2018 E. 8.1; 1B_204/2018 vom 15. Mai 2018 E. 3.1-3.2; 1B_548/2017 vom 29. Januar 2018 E. 3.2; nicht amtl. publ. E. 3.5-3.6 von BGE 139 IV 175; je mit Hinweisen). Auch Art. 364a Abs. 1 StPO sieht einen solchen allgemeinen kumulativen Haftgrund nicht vor.
3.3. Streitig ist hier das Vorliegen von Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 364a Abs. 1 lit. b Ziff. 2 StPO. Liegt bereits ein psychiatrisches Gutachten vor, ist dieses nach der Praxis des Bundesgerichtes in die haftrechtliche Risikoprognose miteinzubeziehen. In der Regel erscheint die Gefährdung der Sicherheit anderer umso höher, je schwerer die drohende Tat wiegt. Betreffend die Anforderungen an die Rückfallgefahr gilt hingegen eine...

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