Urteil Nº 6B 15/2024 Bundesgericht, 21-05-2024
Date | 21 mai 2024 |
Judgement Number | 6B 15/2024 |
Subject Matter | Straftaten Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Signalisation |
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_15/2024
Urteil vom 21. Mai 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Muschietti, als präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin van de Graaf,
Bundesrichter von Felten,
Gerichtsschreiberin Pasquini.
Verfahrensbeteiligte
Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Hansjürg Rhyner,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Signalisation,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Glarus vom 21. November 2023 (OG.2022.00062 und OG.2022.00069).
Sachverhalt:
A.
A.________ wird vorgeworfen, er sei am Karfreitag, 2. April 2021, um 15.00 Uhr, als Motorradlenker auf der Kerenzerbergstrasse, talwärts Richtung Mollis, mit einer Geschwindigkeit von 86 km/h (nach Abzug der Toleranz von 5 km/h) gemessen worden. In der sich unmittelbar vor der Messstelle befindenden 180-Grad-Linkskurve war die zulässige allgemeine Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h mittels einer am rechten Strassenrand angebrachten Signalisationstafel baustellenbedingt auf 50 km/h beschränkt. Diese Tafel befand sich ungefähr im Scheitelpunkt der Kurve. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte auf der an die Kurve anschliessenden längeren Geraden auf der rechten Strassenseite. Grund für die vorübergehende Beschränkung der Geschwindigkeit im betreffenden Streckenabschnitt waren nicht etwa bauliche Tätigkeiten unmittelbar an der Strasse selber; vielmehr zweigte in diesem Bereich eine (temporäre) Baupiste ab zum nahegelegenen Reservoir "Paradisli", an dem Bauarbeiten vorgenommen wurden. Wegen des damit verbundenen Werkverkehrs wurde aus "Gründen der Verkehrssicherheit" eine Temporeduktion verfügt.
B.
Mit Strafbefehl vom 7. Juni 2021 sprach die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus A.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG sowie Art. 4a Abs. 1 und Abs. 5 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11] und Art. 22 Abs. 1 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 [SSV; SR 741.21]) schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer unbedingt vollziehbaren Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 240.--.
Nach erfolgter Einsprache und Überweisung der Angelegenheit an das Kantonsgericht Glarus verurteilte dieses A.________ am 31. August 2022 wegen fahrlässiger einfacher Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG) zu einer Busse von Fr. 700.--. Gegen diesen Entscheid erhoben sowohl A.________ als auch die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus Berufung.
C.
Mit Urteil vom 21. November 2023 stellte das Obergericht des Kantons Glarus das gegen A.________ geführte ordentliche Strafverfahren ein und wies die gegen ihn ergangene Anzeige an die Kantonspolizei zurück zur Behandlung im Ordnungsbussenverfahren.
D.
Der Erste Staatsanwalt der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 21. November 2023 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
E.
In seiner Vernehmlassung beantragt A.________, die Beschwerde sei abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Das Obergericht des Kantons Glarus liess sich innert Frist nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in Strafsachen ist in erster Linie ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeschrift muss daher grundsätzlich einen Antrag in der Sache enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Aufhebungsanträge oder Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung allein genügen nicht, ausser wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 137 II 313 E. 1.3; 136 V 131 E. 1.2; 134 III 379 E.1.3; je mit Hinweis). Allerdings reicht ein Begehren ohne Antrag in der Sache aus, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (BGE 137 II 313 E. 1.3; Urteile 6B_1301/2023 vom 11. März 2024 E. 1; 6B_1331/2023 vom 12. Januar 2024 E. 1; 6B_532/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 1; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin stellt keinen materiellen Antrag, sondern beantragt einzig die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung an die Vorinstanz. Aus der Begründung der Beschwerde geht indessen ohne Weiteres hervor, dass sie eine Verurteilung des Beschwerdegegners wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln bezwecken will. Auf die Beschwerde kann daher grundsätzlich eingetreten werden.
1.2. Der Erste Staatsanwalt der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 lit. e des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Strafprozessordnung und zur Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung des Kantons Glarus vom 2. Mai 2010 [EG StPO; GS III F/1]; BGE 148 IV 275 E. 1.3; 145 IV 65 E. 1.2; 142 IV 196 E. 1.5.2; je mit Hinweisen; Urteile 6B_678/2021 vom 11. März 2022 E. 1; 1B_425/2019 vom 24. März 2020 E. 1).
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt, es sei aktenwidrig, dass die Vorinstanz die leichte und rechtzeitige Erkennbarkeit des Verkehrssignals verneine. Bereits die im angefochtenen Entscheid enthaltenen Bilder offenbarten eine problemlose Erkennbarkeit des Signals. Auch die erste Instanz habe anhand eines Augenscheins festgestellt, dass es unmöglich sei, das Signal nicht zu sehen. Art. 103 SSV verbiete nicht, das Signal in einer Kurve aufzustellen. Indem die Vorinstanz erwäge, selbst der pflichtgemäss aufmerksame Fahrzeuglenker habe nicht mit einer gänzlich falsch platzierten Signalisationstafel mitten in einer Kurve zu rechnen, verletze sie neben Art. 103 SSV auch Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV. Daran ändere die Quote von 25 % von zu schnell fahrenden Fahrzeuglenkern nichts, zumal diese nicht auf eine mangelnde Erkennbarkeit zurückzuführen sei. Der Standort des Signals habe den Vorgaben des Bundesrechts entsprochen.
Weiter wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 81 Abs. 4 SSV vor. Zum einen habe keine längere Zeit vorgelegen, in der nicht gearbeitet worden sei, zum anderen sei die Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit trotz Arbeitsunterbruchs erforderlich gewesen. Es widerspreche der Verkehrssicherheit, wenn Verkehrsanordnungen in kurzen Abständen immer wieder geändert würden. Art. 81 Abs. 4 SSV verlange unter diesem Aspekt offensichtlich nicht, an den Wochenenden jeweils das Verkehrsregime zu ändern, das gelte auch für verlängerte Wochenenden. Es sei eine wesentlich längere Zeit erforderlich, während der nicht gearbeitet werde. Zudem sei die Baupiste der Allgemeinheit zum Befahren offen gestanden. Gerade an Wochenenden habe entlang dieser touristisch attraktiven Strecke denn auch damit gerechnet werden müssen, dass die Baupiste befahren werde. Die Verkehrsanordnung sei deshalb auch über das Osterwochenende erforderlich gewesen. Die Vorinstanz verletze schliesslich hinsichtlich der Verbindlichkeit der von ihr als unrechtmässig erachteten Signalisation ebenfalls Bundesrecht. Nach dem Vertrauensgrundsatz seien auch nicht rechtmässig aufgestellte Signale zu beachten, sofern sie einen schützenswerten Rechtsschein für andere Verkehrsteilnehmer begründeten. Nichtigkeit sei nur in offenkundigen Ausnahmefällen anzunehmen und vorliegend habe kein solcher Ausnahmefall vorgelegen. Dies bereits deshalb nicht, weil für die Verkehrsteilnehmer beim Befahren des fraglichen Abschnitts nicht erkennbar gewesen sei, dass die signalisierte Höchstgeschwindigkeit hätte...
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