Urteil Nº 6B 1031/2016 Bundesgericht, 23-03-2017
Judgement Number | 6B 1031/2016 |
Date | 23 mars 2017 |
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_1031/2016
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Urteil vom 23. März 2017
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Boog.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Franz Müller,
Beschwerdeführer,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Fahrlässige Tötung; willkürliche Beweiswürdigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 4. August 2016.
Sachverhalt:
A.
Prof. Dr. med. X.________, Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie, operierte am 9. Dezember 2003, ab ca. 10.00 Uhr, im Salemspital in Bern A.________, geboren am 26. Januar 1947, wegen therapieresistenten Rücken- und Beinschmerzen, ausgelöst durch ein Wirbelgleiten zwischen den Lendenwirbeln L3 und L4 mit Nervenwurzeleinklemmung. Nachdem der Neurochirurg die Nervenwurzelentlastung (Laminektomie) vorgenommen hatte, begann X.________ mit der Versteifung der beiden instabilen Wirbel durch Verschraubung (Spondylodese). Die Operation erfolgte unter unterstützender, intermittierender Kontrolle durch einen Röntgenbildverstärker/Bildwandler zur seitlichen Durchleuchtung der Lendenwirbelsäule, der jedoch nicht einwandfrei funktionierte. X.________ führte bei der im fraglichen Lendenwirbelbereich an fortgeschrittener Osteochondrose leidenden Patientin zunächst linksseitig die Verschraubung der Lendenwirbel von L4 nach L3 aus und trieb hernach auf der rechten Seite mit der Bohrmaschine den als Führungslinie für die einzusetzende Titanhohlschraube (Titan-Spongiosaschraube) dienenden Kirschnerdraht (Stahldraht mit Gewindespitze) vor. Dabei bohrte er mit dem Kirschnerdraht über den Wirbelkörper hinaus. Er hatte zunächst nicht bemerkt, dass das auf dem Monitor angezeigte Röntgenbild nicht dem tatsächlichen Bohrvorgang entsprach. Nachdem X.________ diese Diskrepanz erkannt hatte, drehte er den Draht zwei Mal zurück und informierte den Anästhesisten über das Risiko einer retroperitonealen Blutung infolge einer möglichen Perforation des Wirbelkörpers mit dem Kirschnerdraht. Zwischen 12.00 und 12.30 Uhr wurde die Blutdruckproblematik definitiv erkannt. X.________ führte die Operation beschleunigt zu Ende. Anschliessend wurde A.________ sofort auf den Rücken gelegt, worauf sie blass wurde und der Blutdruck nicht mehr messbar war. Um ca. 12.35 Uhr traf der notfallmässig avisierte Viszeralchirurg ein und begann um 13.00 Uhr mit der Laparotomie (Bauchschnitt). Dabei zeigte sich, dass die Hohlvene (vena cava) auf einer Länge von 6 - 8 cm zerfetzt war. Um ca. 13.30 Uhr klemmte der Chirurg das verletzte Gefäss mit Gefässklemmen ab. Trotz intensiven Reanimationsmassnahmen verstarb A.________ um 14.30 Uhr auf dem Operationstisch durch inneres Verbluten.
B.
B.a. Das Strafeinzelgericht des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen erklärte X.________ mit Urteil vom 22. August 2008 der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu Fr. 300.--, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren. Eine vom Beurteilten hiegegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern am 17. März 2009 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil im Schuld- und Strafpunkt.
Gegen diesen Entscheid führte X.________ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 25. Februar 2010 teilweise gut, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück; im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Verfahren 6B_984/2009).
B.b. Gestützt auf die neu eingeholten Gutachten bzw. Ergänzungsgutachten erklärte das Obergericht des Kantons Bern X.________ mit Urteil vom 27. November 2012 wiederum der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je Fr. 300.--, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Am 18. Dezember 2013 hiess das Bundesgericht eine von X.________ geführte Beschwerde in Strafsachen erneut gut, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz (Verfahren 6B_408/2013).
B.c. Das Obergericht des Kantons Bern erklärte X.________ mit Urteil vom 4. August 2016 abermals der fahrlässigen Tötung schuldig. Von einer Bestrafung nahm es zufolge Verletzung des Beschleunigungsgebots Umgang.
C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei von der Anklage der fahrlässigen Tötung freizusprechen, eventualiter sei das Verfahren einzustellen.
D.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern schliesst sich in ihrer Stellungnahme den Anträgen von X.________ an. Das Obergericht des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. X.________ hat an seinen Rechtsbegehren festgehalten und auf weitere Bemerkungen verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wendet sich einerseits gegen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung und andererseits gegen die Strafzumessung. Im folgenden ist zunächst zu prüfen, ob der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung vor Bundesrecht standhält. Die Frage, ob das Verfahren infolge Verletzung des Beschleunigungsgebots eingestellt werden muss, stellt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers (Beschwerde S. 6) nur, wenn das angefochtene Urteil im Schuldpunkt kein Bundesrecht verletzt.
2.
2.1. Das Bundesgericht hat sich im vorliegenden Entscheid nunmehr zum dritten Mal mit der Angelegenheit zu befassen. In den bisher ergangenen kantonalen Urteilen wurde der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung unterschiedlich formuliert. Die erste Instanz erachtete als sorgfaltswidrig das zu weite Vorbohren mit dem Kirschnerdraht in Verbindung mit einer eventuellen falschen Bedienung des zur Überwachung dienenden Bildverstärkers. Der Beschwerdeführer hätte die Diskrepanz zwischen Röntgenbild und Bohrvorgang früher bemerken müssen und hätte die tödliche Verletzung der Hohlvene auch mit anderen Überprüfungsmöglichkeiten vermeiden können. Die Operation sei mithin nicht fachgerecht vorgenommen worden (erstinstanzliches Urteil S. 14 ff., 20 ff., act. 502 ff., 508 ff.; Urteil 6B_408/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 1.1 und 5.1).
2.2. Das Obergericht erblickte in seinem ersten Urteil vom 17. März 2009 die relevante Sorgfaltswidrigkeit im Verhalten des Beschwerdeführers
nach seiner Feststellung, dass er rechtsseitig den Kirschnerdraht zu weit vorgetrieben hatte. Nach dieser Auffassung lag die Sorgfaltspflichtverletzung im Zurückziehen des Drahts, ohne dass die Operation zuvor unterbrochen, die Patientin auf den Rücken gewendet worden war und nach Abklärung, ob eine Gefässverletzung vorlag, die notwendigen lebensrettenden Massnahmen ergriffen worden waren. Die Fragen, ob das zu weite Vordringen des Kirschnerdrahtes bis zur Erfassung und Verletzung der Hohlvene unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellte, ob der Beschwerdeführer sich mit dem zur Kontrolle eingesetzten Röntgenbildverstärker hinreichend vertraut gemacht hatte und ob ein Bedienungsfehler oder ein zeitweiliger Defekt vorlag, liess das Obergericht ausdrücklich offen (Urteil des Obergerichts vom 17. März 2009 S. 19 ff. und 37, act. 594 ff. und 612; Urteil 6B_408/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 1.2 und 5.1).
2.3. Nachdem das Bundesgericht in seinem Rückweisungsentscheid vom 25. Februar 2010 erkannt hatte, die sich zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts stellenden Fragen erforderten die Stellungnahme eines medizinischen Sachverständigen (Urteil 6B_984/2009 vom 25. Februar 2010 E. 3.4.2), gelangte das Obergericht in seinem zweiten Urteil vom 27. November 2012 gestützt auf die neu eingeholten Gutachten zum Schluss, die Sorgfaltspflichtverletzung liege darin, dass der Beschwerdeführer nicht bereits im Zeitpunkt des ersten Verdachts einer Venenverletzung die Viszeral- und Gefässchirurgen herbeigerufen, das Personal und die Instrumente für die Vornahme der Laparotomie und das eventuelle Abklemmen des Gefässes organisiert hatte. Die ursprüngliche Annahme, wonach es dem Beschwerdeführer noch vor dem Zurückdrehen des zu weit vorgebohrten Kirschnerdrahts möglich gewesen wäre festzustellen, ob die Hohlvene verletzt war, habe sich aufgrund der neuen Gutachten als unzutreffend erwiesen. Offen liess das Obergericht wiederum, ob die Verletzung der Hohlvene schon durch das zu weite Vorbohren oder erst durch das Zurückziehen des Kirschnerdrahts verursacht worden war (Urteil 6B_408/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 2.1 und 5.1).
2.4. In seinem zweiten Rückweisungsentscheid vom 18. Dezember 2013 erachtete das Bundesgericht 12.30 Uhr als massgeblichen Zeitpunkt für den Bauchschnitt und 11.55 Uhr für die beschleunigte Beendigung der Wirbelsäulenoperation sowie die Organisation der Laparotomie. Es erwog, die bei diesen Zeitverhältnissen vom Gutachter auf 60-70% geschätzte Wahrscheinlichkeit der Vermeidbarkeit des tödlichen Ausgangs genüge für die Annahme einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bzw. einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht (Urteil 6B_408/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 5.4). Damit erwiesen sich die Begründungen beider obergerichtlicher Urteile, welche die Sorgfaltswidrigkeit des Beschwerdeführers an sein Verhalten
nach dem zu weiten Vorbohren des Kirschnerdrahts knüpften, nicht als tragfähige Grundlage für einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Es stelle sich indes die Frage, ob nicht schon im zu weiten Vortreiben des Kirschnerdrahts selbst, d.h. im Überschreiten der...
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