Urteil Nº 1B 9/2023 Bundesgericht, 26-01-2023

Judgement Number1B 9/2023
Date26 janvier 2023
Subject MatterStrafprozess Strafverfahren; Haftentlassung, Ersatzmassnahmen
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_9/2023
Urteil vom 26. Januar 2023
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Müller, Kölz,
Gerichtsschreiberin Kern.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Huber,
gegen
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis,
Bahnhofplatz 10, Postfach, 8953 Dietikon.
Gegenstand
Strafverfahren; Haftentlassung, Ersatzmassnahmen,
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung
des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 23. Dezember 2022 (SB220597-O/Z3/cwo).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln. Er wurde am 30. Mai 2021 festgenommen und befindet sich seit dem 6. Juli 2021 im vorzeitigen Strafvollzug.
Am 25. März 2022 wurde A.________ vom Bezirksgericht Dietikon der mehrfachen qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 43 Monaten verurteilt. Gleichentags hiess das Bezirksgericht Dietikon das Haftentlassungsgesuch von A.________ gut und entliess ihn unter Anordnung einer Ersatzmassnahme, namentlich eines Fahrverbots, aus der Haft. Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich hiess die dagegen erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft gut, wies das Haftentlassungsgesuch von A.________ ab und verfügte dessen Verbleib im vorzeitigen Strafvollzug. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen von A.________ am 5. Mai 2022 ab (Verfahren 1B_187/2022).
Zwischenzeitlich hat A.________ Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Dietikon erhoben und insbesondere eine tiefere Strafe beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Berufung erklärt und eine Freiheitsstrafe von 48 Monaten sowie eine Landesverweisung für die Dauer von acht Jahren beantragt. Das Berufungsverfahren ist unter der Geschäfts-Nummer SB220597-O bei der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich hängig.
B.
Mit Gesuch vom 14. Dezember 2022 ersuchte A.________ um Haftentlassung. Die I. Strafkammer wies das Gesuch mit Präsidialverfügung vom 23. Dezember 2022 ab, wobei sie weiterhin von Wiederholungsgefahr ausging.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 5. Januar 2023 beantragt A.________, die angefochtene Präsidialverfügung aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei er unter Anordnung von Ersatzmassnahmen, namentlich einem Fahrverbot oder einer Kaution, unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Subeventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Vorinstanz hat mit Eingabe vom 18. Januar 2023 auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Haftentlassung. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sind gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (sog. allgemeiner Haftgrund) und zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Fluchtgefahr; lit. a), Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Kollusions- oder Verdunkelungsgefahr; lit. b) oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Wiederholungsgefahr; lit. c). Nach Art. 221 Abs. 2 StPO ist Haft auch zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (Ausführungsgefahr). Überdies muss die Haft verhältnismässig sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen werden und an ihrer Stelle müssen solche Ersatzmassnahmen verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 f. StPO; vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; 140 IV 74 E. 2.2).
3.
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt der dringende Tatverdacht bei einer erstinstanzlichen Verurteilung grundsätzlich ohne Weiteres als erstellt (Urteile 1B_651/2022 vom 18. Januar 2022 E. 3; 1B_363/2022 vom 25. Juli 2022 E. 4; 1B_98/2022 vom 16. März 2022 E. 4.4 mit Hinweis). Wer den dringenden Tatverdacht im Widerspruch zur erstinstanzlichen Verurteilung bestreitet, hat darzulegen, weshalb das betreffende Urteil klarerweise fehlerhaft erscheint bzw. eine entsprechende Korrektur im Berufungsverfahren mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und, soweit bereits eine Urteilsbegründung vorliegt, sich dabei auch mit den betreffenden Erwägungen des Sachgerichts auseinanderzusetzen (Urteile 1B_651/2022 vom 18. Januar 2022 E. 3; 1B_536/2022 vom 8. November 2022 E. 5.1; 1B_28/2022 vom 9. Februar 2022 E. 3.1 mit Hinweisen).
Dem Beschwerdeführer wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, am 29. Mai 2021 auf der Autobahn aus einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h auf 215 km/h beschleunigt und dadurch die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h überschritten zu haben. Gleichentags soll der Beschwerdeführer innerorts aus einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h auf 120 km/h beschleunigt, an einem nicht bewilligten Rennen teilgenommen und ein waghalsiges Überholmanöver durchgeführt haben. Der Beschwerdeführer bestreitet zwar insbesondere weiterhin, ein Rennen gefahren zu sein, wendet sich aber aufgrund der erstinstanzlichen Verurteilung im Übrigen nicht gegen die Bejahung des dringenden Tatverdachts. Der allgemeine Haftgrund ist damit gegeben.
4.
Zu prüfen ist weiter, ob besondere Haftgründe vorliegen.
4.1. Vorab ist zu beurteilen, ob die Vorinstanz bei der Prüfung von besonderen Haftgründen das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt hat.
4.1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der behördlichen Begründungspflicht. Er kritisiert, die Vorinstanz äussere sich lediglich in zwei Sätzen zur Wiederholungsgefahr und setze sich nicht mit seinen Argumenten auseinander. So lasse sie insbesondere unberücksichtigt, dass seit der letzten Haftprüfung acht Monate vergangen seien.
4.1.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt, dass die Behörde die rechtserheblichen Vorbringen der Parteien tatsächlich hört, ernsthaft...

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