Urteil Nº 1B 1/2023 Bundesgericht, 30-01-2023

Judgement Number1B 1/2023
Date30 janvier 2023
Subject MatterStrafprozess Untersuchungshaft
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_1/2023
Urteil vom 30. Januar 2023
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Merz, Kölz,
Gerichtsschreiber Forster.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat,
gegen
Bundesanwaltschaft,
Guisanplatz 1, 3003 Bern,
Kantonales Zwangsmassnahmengericht
des Kantons Bern,
Kasernenstrasse 19, 3013 Bern.
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer,
vom 30. November 2022 (BH.2022.13, BH.2022.14).
Sachverhalt:
A.
Die Bundesanwaltschaft (BA) führt eine Strafuntersuchung gegen den gambischen Staatsangehörigen A.________ wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am 26. Januar 2017 nahm ihn die Polizei in der Schweiz fest. Am 28. Januar 2017 wurde er in Untersuchungshaft versetzt. Diese wurde seither jeweils verlängert.
B.
Mit Entscheid vom 27. Juli 2022 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (ZMG) auf Antrag der BA die Untersuchungshaft bis zum 25. Oktober 2022. Am 7. Oktober 2022 stellte der Beschuldigte ein Haftentlassungsgesuch, welches die BA am 10. Oktober 2022 mit dem Antrag an das ZMG weiterleitete, das Gesuch sei abzuweisen. Auf Verlangen des Beschuldigten führte das ZMG am 17. Oktober 2022 eine mündliche Haftverhandlung durch. Gleichentags wies das ZMG das Haftentlassungsgesuch ab. Die schriftliche Begründung des Haftentscheids erfolgte am 19. Oktober 2022. Am 20. Oktober 2022 beantragte die BA dem ZMG (zuletzt) die Verlängerung der Untersuchungshaft um weitere drei Monate. Mit Entscheid vom 1. November 2022 verlängerte das ZMG die Haft vorläufig bis zum 25. Januar 2023.
C.
Mit Beschwerden vom 31. Oktober und 14. November 2022 focht der Beschuldigte den Haftprüfungsentscheid vom 17./19. Oktober 2022 des ZMG und den Haftverlängerungsentscheid vom 1. November 2022 des ZMG je beim Bundesstrafgericht an. Mit Beschluss vom 30. November 2022 wies das Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, beide Beschwerden ab, soweit es darauf eintrat.
D.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 2. Januar 2023 beantragt der Beschuldigte, der Beschluss des Bundesstrafgerichts vom 30. November 2022 sei aufzuheben und er selbst sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, eventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen für Haft.
Das ZMG hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesstrafgericht verweist auf den angefochtenen Entscheid. Die BA beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Innert der auf den 18. Januar 2023 (fakultativ) angesetzten Frist hat der Beschwerdeführer keine Replik eingereicht. Am 24. Januar 2023 übermittelte er unaufgefordert eine weitere Eingabe.
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 54 Abs. 1 BGG wird das bundesgerichtliche Verfahren in einer der Amtssprachen geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen Entscheids. Von dieser Regel abzuweichen, besteht hier kein Grund. Das bundesgerichtliche Urteil ergeht deshalb in deutscher Sprache, auch wenn der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer die Beschwerde in französischer Sprache einreichen liess.
2.
Angefochten ist ein Beschwerdeentscheid des Bundesstrafgerichtes betreffend Fortsetzung von Untersuchungshaft bzw. Abweisung eines Haftentlassungsgesuches (Art. 222 i.V.m. Art. 227 und Art. 228 StPO). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 79 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
3.
Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst den allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts eines Vergehens oder Verbrechens (Art. 221 Abs. 1 Ingress StPO).
3.1. Im Gegensatz zum erkennenden Sachgericht hat das Bundesgericht bei der Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachtes (Art. 221 Abs. 1 Ingress StPO) keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht eine inhaftierte Person geltend, sie befinde sich ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu prüfen, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für ein Verbrechen oder Vergehen und eine Beteiligung der inhaftierten Person an dieser Tat vorliegen, die Strafbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt dabei der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das untersuchte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (BGE 143 IV 316 E. 3.1; 330 E. 2.1; je mit Hinweisen). Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 31 Abs. 3-4 BV, Art. 5 Abs. 2 StPO) lässt hier nur wenig Raum für Beweismassnahmen. Zur Frage des dringenden Tatverdachtes bzw. zur Schuldfrage hat das Bundesgericht weder ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafgericht vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden Alibibeweises (BGE 143 IV 316 E. 3.1; 330 E. 2.1; je mit Hinweisen).
Der dringende Tatverdacht muss sich im Verlauf des Strafverfahrens grundsätzlich verdichten (bzw. ausreichend hoch verbleiben). Dabei kommt es nach der Praxis des Bundesgerichtes auch auf die Art und Intensität der bereits vorbestehenden konkreten Verdachtsgründe an (vgl. Urteile 1B_312/2021 vom 23. Juni 2021 E. 2.1; 1B_292/2021 vom 17. Juni 2021 E. 2.1; 1B_197/2019 vom 27. Mai 2019 E. 2.4; 1B_514/2018 vom 3. Dezember 2018 E. 3.2). Zu Beginn der Strafuntersuchung sind die Anforderungen an den dringenden Tatverdacht geringer als in späteren Prozessstadien. Im Laufe des Strafverfahrens ist in der Regel ein zunehmend strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Konkretheit des Tatverdachts zu legen. Nach Durchführung der gebotenen Untersuchungshandlungen muss eine Verurteilung als wahrscheinlich erscheinen (BGE 143 IV 316 E. 3.2 mit Hinweisen).
Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen strafprozessualer Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung der StPO frei. Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 143 IV 316 E. 3.3; 330 E. 2.1; je mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 316 E. 3.3; 330 E. 2.1; je mit Hinweis).
3.2. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besonderen Voraussetzungen der übrigen StGB-Artikel zutrifft, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft (Art. 111 StGB). Die Höchstdauer der Freiheitsstrafe beträgt 20 Jahre (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Mittäterschaft setzt nicht zwangsläufig voraus, dass die beschuldigte Person die vorsätzliche Tötung eigenhändig verübt; massgeblich ist, ob ihr in seiner konkreten Beteiligungsrolle die Tatherrschaft zukommt (BGE 133 IV 76 E. 2.7; 130 IV 58 E. 9.2.1).
Art. 264a StGB regelt die Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung namentlich einen Menschen vorsätzlich tötet (lit. a; vorsätzliche Tötung) oder einem unter seinem Gewahrsam oder seiner Kontrolle stehenden Menschen grosse Leiden oder eine schwere Schädigung des Körpers oder der physischen oder psychischen Gesundheit zufügt (lit. f; Folter). Die Höchstdauer der Freiheitsstrafe beträgt 20 Jahre (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). In besonders schweren Fällen, namentlich wenn die Tat viele Menschen betrifft oder der Täter grausam handelt, kann auf lebenslängliche Freiheitsstrafe erkannt werden (Art. 264a Abs. 2 StGB).
Gemäss Art. 264k Abs. 1 Satz 1 StGB wird der Vorgesetzte, der weiss, dass eine ihm unterstellte Person eine Tat nach Art. 264a StGB begeht oder begehen wird, und die nicht angemessene Massnahmen ergreift, um diese Tat zu verhindern, nach der gleichen Strafandrohung wie der Täter bestraft.
3.3. Die BA wirft dem Beschwerdeführer vor, als ehemaliger Generalinspektor der Polizei und Innenminister der Republik Gambia unter dem Regime von Yahya Jammeh zwischen 2006 und September 2016 für Folterungen durch Polizeikräfte, Gefängnispersonal und diesen nahestehende Gruppen (namentlich die "National Intelligence Agency" [NIA] und die sogenannten "Junglers") verantwortlich gewesen zu sein.
Schon in BGE 143 IV 316 (Urteil vom 16. August 2017) hatte das Bundesgericht beim Beschwerdeführer den dringenden Tatverdacht von einschlägigen Verbrechen bejaht. Dabei hob es die besondere Bedeutung des unabhängigen Berichts des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Juan E. Méndez, vom 16. März 2015 (UN-Folterbericht) und des unabhängigen Berichts des UN-Sonderberichterstatters über aussergerichtliche, willkürliche oder im Schnellverfahren beschlossene Hinrichtungen, Christof Heyns, vom 11. Mai 2015 hervor. Es erwog, aus dem UN-Folterbericht ergebe sich, dass in der Zeit des Regimes von Yahya Jammeh Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in Gambia im rechtsfreien Raum hätten operieren können und Folter ein gängiges Mittel zur Einschüchterung der Bevölkerung sowie Unterdrückung der Opposition gewesen sei. Auch wenn die BA damals noch intensiv ermittelte, hatten bereits konkrete Hinweise auf ein systematisches Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung bestanden, allen voran gegen politische Oppositionelle bzw. Kritiker des...

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