Arrêt nº 1C 230/2011 de Tribunal Fédéral, 31 mai 2012

ConférencierPublié
Date de Résolution31 mai 2012

Chapeau

138 II 346

26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Google Inc. und Google Switzerland GmbH gegen Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten EDÖB (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)

1C_230/2011 vom 31. Mai 2012

Faits à partir de page 348

BGE 138 II 346 S. 348

  1. Seit August 2009 bietet Google im Internet den Dienst "Street View" für die Schweiz an. Es handelt sich dabei um eine Funktion in Google Maps (http://maps.google.ch), mit welcher sich virtuelle Rundgänge namentlich durch Strassen und Plätze unternehmen lassen. Die abgebildeten Strassenzüge können dabei in der Regel in einer Rundsicht betrachtet werden. Die Aufnahme der Strassenbilder von speziell dafür ausgestatteten Fahrzeugen aus erfolgte seit März 2009. Auf den Bildern wurden Gesichter von aufgenommenen Personen und Kennzeichen von Fahrzeugen automatisch verwischt (sog. Blurring). Mehrere Personen, die sich durch einzelne Bilder in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlten, wandten sich gegen die Publikation an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB). Dieser hielt die automatische Bearbeitung der Bilder mit einer Anonymisierungssoftware für ungenügend, weil lediglich ein Teil der Gesichter und Kennzeichen verwischt wurde. In der Folge fanden zwischen Google und dem EDÖB Gespräche statt.

  2. Am 11. September 2009 erliess der EDÖB eine Empfehlung an Google Inc. und Google Switzerland GmbH, die diese Unternehmen BGE 138 II 346 S. 349

    mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 in weiten Teilen ablehnten. Daraufhin erhob der EDÖB am 11. November 2009 Klage beim Bundesverwaltungsgericht mit folgenden Rechtsbegehren:

    "1. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass die Veröffentlichung der Bilder im Dienst Google Street View nur erfolgt, wenn Gesichter und Autokennzeichen vollständig unkenntlich [gemacht] worden sind.

    2. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass im Dienst Google Street View die Anonymität von Personen im Bereich von sensiblen Einrichtungen, insbesondere vor Frauenhäusern, Altersheimen, Gefängnissen, Schulen, Sozialbehörden, Vormundschaftsbehörden, Gerichten und Spitälern, gewährleistet ist.

    3. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass der Privatbereich (umfriedete Höfe, Gärten usw.) nicht auf Bildträger aufgenommen wird und die bereits aufgenommenen Bilder aus dem Privatbereich der betroffenen Personen aus dem Dienst Google Street View entfernt werden.

    4. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass die von Privatstrassen aus gemachten Aufnahmen aus dem Dienst Google Street View entfernt werden, sofern keine Einwilligung für die Aufnahmen vorliegt.

    5. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH informieren mindestens eine Woche im Voraus, in welchen Städten und Dörfern in der darauf folgenden Woche Aufnahmen getätigt werden.

    6. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH informieren eine Woche vor Aufschaltung aufs Netz, welche Dörfer und Städte aufgeschaltet werden."

    Die Klage begründete der EDÖB im Wesentlichen damit, dass das Fotografieren und die anschliessende Übermittlung der Bilder zur Weiterbearbeitung in die USA eine Bearbeitung von Personendaten darstelle, welche die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen verletze, wenn es sich um Daten aus deren Privatbereich handle. Die Verwendung von Bildern der näheren Umgebung des Lebensmittelpunkts einer Person sei unzulässig, da die Betroffenen trotz unkenntlich gemachtem Gesicht identifiziert werden könnten. Der Betrieb von Google Street View stelle nur dann keine Persönlichkeitsverletzung dar, wenn eine angemessene Unkenntlichmachung gewährleistet sei, sodass ein Personenbezug verneint werden könne. Falls die automatische Verwischung in diesem Bereich nicht funktioniere, könne eine betroffene Person aufgrund der Zoom-Funktionen individualisiert dargestellt und identifiziert werden, was die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletze. Die von Google zum Persönlichkeitsschutz BGE 138 II 346 S. 350

    getroffenen Massnahmen reichten nicht aus, da noch Tausende von Bildern mit mangelhafter Unkenntlichmachung im Internet aufgeschaltet seien. Bei Aufnahmen aus der Privatsphäre einer betroffenen Person liege zudem immer eine Persönlichkeitsverletzung vor.

    (...)

  3. Mit Urteil A-7040/2009 vom 30. März 2011 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Klagebegehren 1 bis 3 sowie 5 und 6 im Sinne der Erwägungen gut. In Bezug auf das Rechtsbegehren 4 wies es die Klage ab.

    Aus den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass der EDÖB die umstrittene Empfehlung zu Recht ausgesprochen habe. Die Datenbearbeitung durch Google verstosse gegen die Bearbeitungsgrundsätze des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) und lasse sich nicht durch überwiegende private oder öffentliche Interessen rechtfertigen. Google habe darum besorgt zu sein, sämtliche Gesichter und Kontrollschilder unkenntlich zu machen, bevor die Bilder im Internet veröffentlicht werden. Im Bereich von sensiblen Einrichtungen, jedenfalls soweit sie der Kläger benenne (Frauenhäuser, Altersheime, Gefängnisse, Schulen, Sozial- und Vormundschaftsbehörden, Gerichte und Spitäler), seien die Bilder überdies so weit zu anonymisieren, dass nebst den Gesichtern auch weitere individualisierende Merkmale wie Hautfarbe, Kleidung, Hilfsmittel von körperlich behinderten Personen etc. nicht mehr feststellbar seien. Bilder, die Privatbereiche wie umfriedete Gärten oder Höfe zeigten, die dem Anblick eines gewöhnlichen Passanten verschlossen blieben, dürften nicht aufgenommen werden. Solche bereits vorhandenen Bilder seien aus Google Street View zu entfernen und die Aufnahmehöhe sei entsprechend anzupassen, oder es sei eine Einwilligung der Berechtigten einzuholen. Dagegen sei es nicht notwendig, Aufnahmen aus Privatstrassen ohne Einwilligung generell zu untersagen. Vielmehr müsse auch hier gelten, dass Aufnahmen und deren Veröffentlichung zulässig seien, sofern sie hinreichend unkenntlich gemacht worden sind und keine Privatbereiche im Sinne von Klagebegehren 3 zeigen. Zur Information über geplante Aufnahmeorte erwog das Bundesverwaltungsgericht, dass ein Hinweis auf der Startseite von Google Maps im Internet nicht genüge, sondern darüber hinaus auch in lokalen Presseerzeugnissen darüber zu orientieren sei. Es gebe potentiell betroffene Personen, die das Internet nicht nutzten, und selbst für den grösseren BGE 138 II 346 S. 351

    Teil der Bevölkerung, der das Internet regelmässig nutze, sei eine regelmässige Konsultation von Google Maps - nur um auf allfällige Aufnahmegebiete aufmerksam zu werden - nicht zumutbar. Gleiches gelte für die Aufschaltung von Aufnahmen im Internet.

  4. Google Inc. und die Google Switzerland GmbH führen mit Eingabe vom 19. Mai 2011 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2011. (...)

    Sie beanstanden zahlreiche verfahrensrechtliche Mängel und machen geltend, die von der Vorinstanz angeordneten Auflagen führten im Ergebnis zu einem faktischen Verbot von Street View in der Schweiz, weil die Befolgung der Auflagen nicht möglich sei. Die Interessen der Nutzer am Weiterbestehen des Dienstes seien zu Unrecht nicht beachtet worden. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht die Bilder in Street View fälschlicherweise als Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes des Bundes bezeichnet und eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild bejaht. (...)

    (Auszug)

    Considérants

    Aus den Erwägungen:

    1.

    1.1 Der vorliegenden Streitsache liegt eine Empfehlung des EDÖB im Privatrechtsbereich zugrunde (Art. 29 Abs. 3 DSG). Das Bundesverwaltungsgericht hat darüber auf Klage des EDÖB hin entschieden (Art. 29 Abs. 4 DSG i.V.m. Art. 35 lit. b VGG [SR 173.32]). Es handelt sich dabei um einen Endentscheid, der mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden kann (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG; BGE 136 II 508 E. 1.1). Die Beschwerdeführerinnen haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen und sind vom angefochtenen Entscheid in schutzwürdigen Interessen unmittelbar besonders betroffen. Sie sind somit zur Beschwerdeführung berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG).

    (...)

    3. Die Vorinstanz bejahte im angefochtenen Entscheid A-7040/2009 vom 30. März 2011, E. 5, die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts des Bundes und die Zuständigkeit des EDÖB. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten im bundesgerichtlichen Verfahren die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts des Bundes nicht mehr. Sie sprechen hingegen der eidgenössischen Datenschutzbehörde im BGE 138 II 346 S. 352

    vorliegenden Fall die Zuständigkeit zu Abklärungen und Empfehlungen im Sinne von Art. 29 DSG ab, da die in Street View verwendeten Bilder nicht in der Schweiz, sondern in den USA veröffentlicht würden.

    3.1 Google Inc. lässt mit Hilfe der Google Switzerland GmbH Bilder von Strassenzügen in der Schweiz aufnehmen. Diese werden anschliessend auf Festplatten zur weiteren Bearbeitung nach Belgien versendet. Vom Unternehmenssitz in den USA aus werden die bearbeiteten Aufnahmen alsdann ins Internet gestellt.

    3.2 Das Datenschutzrecht bezweckt den Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen, über die Daten bearbeitet werden (Art. 1 DSG). Unter Bearbeitung von Personendaten ist nach Art. 3 lit. e DSG jeder Umgang mit Personendaten, unabhängig von den angewandten Mitteln und Verfahren, insbesondere das Beschaffen, Aufbewahren, Verwenden, Umarbeiten, Bekanntgeben, Archivieren oder Vernichten von Daten zu verstehen. Dazu gehört unter anderem auch die Bekanntgabe solcher Daten ins Ausland (Art. 6 Abs. 1 DSG; EPINEY/FASNACHT, in: Datenschutzrecht, Belser/Epiney/Waldmann [Hrsg.], 2011, S. 559 ff.; PHILIPPE MEIER, Protection des données, 2011, S. 436 ff.; ANDRÉ THALMANN, Zur Anwendung des schweizerischen Datenschutzgesetzes auf...

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