Arrêt nº 2C 127/2010 de Tribunal Fédéral, 15 juillet 2011

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Date de Résolution15 juillet 2011

Chapeau

137 II 431

39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) gegen X. Ltd., Y. Ltd. und Z. Corp. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)

2C_127/2010 vom 15. Juli 2011

Faits à partir de page 432

BGE 137 II 431 S. 432

A.

A.a Am 18. Februar 2009 schloss die UBS AG mit dem amerikanischen Justizdepartement (Departement of Justice [DoJ]) einen Vergleich ab (Deferred Prosecution Agreement [DPA]). Sie anerkannte darin, die USA durch gemeinsames Vorgehen mit Bankkunden um Steuereinnahmen betrogen zu haben. Sie verpflichtete sich, 780 Mio. Dollar zu bezahlen und künftig auf das grenzüberschreitende Geschäft mit US-Kunden zu verzichten. Das Agreement sah zudem vor, dass die UBS AG gewisse Kundendaten herausgeben würde. Im Gegenzug erklärte das DoJ sich bereit, die laufende Strafverfolgung für mindestens 18 Monate auszusetzen und auf diese definitiv zu verzichten, sollte die UBS AG ihren Verpflichtungen aus dem DPA nachkommen. Der Vergleich hielt fest, dass der Internal Revenue Service (IRS), d.h. die US-Steuerbehörde, im eingeleiteten John-Doe-Summons-Verfahren (JDS-Verfahren) die "enforcement action", d.h. das konkrete Durchsetzungsbegehren, einreichen würde und ein Verstoss gegen eine entsprechende richterliche Anordnung als Verletzung des DPA gelten könnte.

A.b Der IRS beantragte tags darauf, die UBS AG zu verpflichten, ihm die Daten von 52'000 US-Kontoinhabern herauszugeben. Am 1. Juli 2009 ermächtigte der Bundesrat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), der UBS AG zu untersagen, schriftlich oder mündlich, direkt oder indirekt, die im John-Doe-Summons-Verfahren geforderten Informationen zu übermitteln, und die UBS AG gegebenenfalls daran zu hindern, über diese Informationen zu verfügen, sei es durch die Anordnung einer Dokumentenbeschlagnahmung, sei es durch Zugangsbeschränkungen zu denBGE 137 II 431 S. 433

Informatiksystemen ("blocking order"). Am 10. August 2009 hiess der Bundesrat den Entwurf eines Abkommens mit der amerikanischen Regierung über ein Amtshilfegesuch des IRS betreffend die UBS AG gut. Am 19. August 2009 informierten die schweizerischen Behörden die Öffentlichkeit, dass der Vertrag in Kraft getreten sei (AS 2009 5669); die USA würden im Fall UBS ein neues Amtshilfegesuch einreichen und darauf verzichten, die Zivilklage durchzusetzen. Die Schweiz verpflichte sich im Gegenzug, ein rund 4'450 Konten betreffendes Amtshilfeersuchen innert Jahresfrist zu bearbeiten.

A.c Mit Urteil vom 21. Januar 2010 stufte das Bundesverwaltungsgericht dieses Abkommen als blosse "Verständigungsvereinbarung" ein, auf deren Grundlage bei fortgesetzter, schwerer Steuerhinterziehung keine Amtshilfe ausserhalb des Abkommens vom 2. Oktober 1996 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA-USA; SR 0.672.933.61) geleistet werden könne (Urteil A-7789/2009). Am 31. März 2010 unterzeichneten die schweizerischen und die amerikanischen Behörden eine neue Vereinbarung, worin sie klarstellten, dass es sich beim revidierten Doppelbesteuerungsabkommen um einen Staatsvertrag handle, der dem geltenden Recht vorgehe. Das Abkommen wurde ab dem 31. März 2010 vorläufig angewendet und am 17. Juni 2010 durch das Parlament genehmigt (BBl 2010 2965 ff.; AS 2010 2907; SR 0.672.933.612). (...)

B.

B.a Die Eidgenössische Bankenkommission ("EBK"; heute: Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA) erfuhr im Februar/März 2008 von den in den USA gegen die UBS AG erhobenen Vorwürfen und den damit verbundenen möglichen unilateralen Zwangsmassnahmen (z.B. "Subpoena" als Mittel zur Beibringung von Informationen unter Zwangsandrohung). Sie informierte die Eidgenössische Finanzverwaltung, das Bundesamt für Justiz (BJ) und die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) hierüber. (...)

B.b Am 16. Juli 2008 (mit Ergänzung vom 29. August 2008) ersuchte der IRS die EStV gestützt auf das schweizerisch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen um Amtshilfe. Am 8. Dezember 2008 teilten die Staatsanwälte des DoJ der UBS AG mit, sie würden umgehend das Verfahren zur Anklageerhebung einleiten, wenn nun nicht rasch Kundendaten übermittelt würden. Am 15. Dezember 2008 informierten Vertreter des DoJ und des US Treasury die BGE 137 II 431 S. 434

Schweizer Regierung, dass das laufende Amtshilfeverfahren zu lange dauere; es werde nunmehr erwartet, dass zeitlich noch um das Ende des Jahres eine signifikante Anzahl Daten ausgehändigt werde.

B.c Am 21. Dezember 2008 stellte die EBK fest, dass die UBS AG bei ihrem "Crossborder"-Geschäft in den USA gegen das Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes verstossen habe, indem einzelne Mitarbeiter in einer beschränkten Zahl von Fällen entgegen ihren Verpflichtungen unter dem "Qualified Intermediary Agreement" (QIA) für Steuerzwecke erstellte Kundendokumentationen als zureichend erachteten, von denen sie wussten oder hätten wissen müssen, dass sie den US-Steuerstatus des Kunden unzutreffend wiedergaben. Die UBS AG habe über eine längere Zeit zudem amerikanische aufsichtsrechtliche Beschränkungen zur grenzüberschreitenden Erbringung von Finanzdienstleistungen missachtet. Die Bankenkommission rügte die UBS "wegen schwerer Verletzung des Gewährs- und Organisationserfordernisses". (...)

C.

C.a Am 19./24. Dezember 2008 ersuchte der Bundesrat mit Blick auf den zunehmenden Druck aus den Vereinigten Staaten und deren Absichten, unilateral gegen die UBS AG vorzugehen, die EBK darum, im "Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen als auch des globalen Finanzsystems (...) alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um einen solchen Schritt zu verhindern".

Das DoJ machte den Abschluss eines Vergleichs mit der UBS AG davon abhängig, dass gewisse Kundendaten umgehend übermittelt würden. Am 17. Februar 2009 drohte es der UBS AG im Rahmen der Verhandlungen an, sie unverzüglich anzuklagen, sollten die offenzulegenden US-Kundendaten nun nicht sofort ausgehändigt werden.

C.b Mit Verfügung vom 18. Februar 2009 ordnete die FINMA an, dass die UBS AG dem Departement of Justice und allenfalls weiteren mit der Verfolgung von Straftatbeständen befassten US-Behörden über sie die unter Ziffer 9 des "Deferred Prosecution Agreement" vom 18. Februar 2009 sowie im Anhang "Account Disclosure Letter" (datiert vom 16. Februar 2009) genannten Daten (285 Dossiers von 255 Kunden) sofort herausgeben müsse. Die UBS AG habe ihr die offenzulegenden Informationen rechtzeitig in elektronischer Form zwecks Weiterleitung an das DoJ zu übergeben; soweit möglich, seien sämtliche Daten offensichtlich unbeteiligter Dritter abzudecken. Die Verfügung werde sofort vollstreckt. Die FINMA BGE 137 II 431 S. 435

begründete ihren Entscheid im Wesentlichen damit, dass die UBS AG in einer "Zwangssituation zwischen widersprechenden Rechtspflichten in den USA und der Schweiz" stehe und selber nicht imstande sei, "die bevorstehende Anklageerhebung und die damit einhergehenden unmittelbaren Bedrohungen ihrer Existenz abzuwenden". Zur Wahrung der Gläubiger- und Anlegerinteressen und zur Sicherung der Stabilität des Schweizer Finanzsystems sei es "zwingend und unausweichlich", geeignete Schutzmassnahmen anzuordnen, "da trotz aller Schritte der Schweizer Behörden keine realistische Aussicht mehr" bestehe, "eine die Existenz gefährdende Anklage abzuwenden". Die der FINMA übergebenen Daten wurden am Abend des 18. Februar 2009 der amerikanischen Botschaft ausgehändigt, nachdem der Vergleich in den USA zuvor richterlich genehmigt worden war.

C.c Mit Urteil vom 5. Januar 2010 hiess das Bundesverwaltungsgericht die gegen die Verfügung der FINMA gerichtete Beschwerde der X. Ltd., der Y. Ltd. und der Z. Corp. gut, soweit es darauf eintrat (Urteil B-1092/2009; auszugsweise publiziert in: ZBl 111/2010 S. 451 ff.). Das Gericht stellte fest, "dass die Ziffern 1 und 2 der angefochtenen Verfügung vom 18. Februar 2009, welche die Herausgabe der Bankkundendaten der Beschwerdeführer an die US- amerikanischen Behörden anordneten, rechtswidrig" seien. Da der Bundesrat in einer von ihm als Notstand bewerteten Situation nicht selber Massnahmen ergriffen habe und die FINMA im Rahmen des konstitutionellen Notrechts nicht delegationsweise habe handeln können, stütze sich die angefochtene Verfügung auf keine für die Einschränkung von Grundrechten genügende gesetzliche Grundlage. Die FINMA habe über keine rechtliche Möglichkeit verfügt, die Herausgabe von Kundendaten ausserhalb der explizit hierfür vorgesehenen Rechts- bzw. Amtshilfeverfahren anzuordnen. Ihre Auffassung, dass sie sich hierzu auf Art. 25 und 26 des Bundesgesetzes vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0; "Massnahmen bei Insolvenzgefahr" [Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 3. Oktober 2003, in Kraft seit 1. Juli 2004; AS 2004 2767, 2776; BBl 2002 8060]) habe berufen können, sei unzutreffend.

D.

D.a Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA gelangte am 4./5. Februar 2010 mit dem Antrag an das Bundesgericht, den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben. Die von ihr BGE 137 II 431 S. 436

angeordnete Herausgabe von Kundendaten sei durch Art. 25 und 26 BankG gedeckt. Zum Zeitpunkt ihrer Verfügung sei sie "angesichts der ernsthaften, schriftlich angezeigten Drohungen" des US-Departement of Justice betreffend eine Anklage der UBS AG zu Recht davon ausgegangen, dass die Liquidität und letztlich der Weiterbestand der Bank bei einer Anklage schwer, direkt und unmittelbar bedroht gewesen wären. Es habe eine ernste, unmittelbare und nicht anders abwendbare Gefahr für die Liquidität der UBS und damit für die Gläubiger der UBS sowie das schweizerische Finanzsystem bestanden, dessen Funktionsfähigkeit sie habe schützen müssen. (...)

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen teilweise gut, hebt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Januar...

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