Arrêt de Ire Cour de Droit Public, 20 octobre 1982

ConférencierPublié
Date de Résolution20 octobre 1982
SourceIre Cour de Droit Public

Chapeau

108 Ia 264

49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Oktober 1982 i.S. Wagner und evangelische Kirchgemeinde Roggwil gegen evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)

Faits à partir de page 265

BGE 108 Ia 264 S. 265

A.- Die Kirchenvorsteherschaft der evangelischen Kirchgemeinde Roggwil/TG brachte dem Kirchenrat der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau mit Schreiben vom 29. Mai 1981 zur Kenntnis, sie werde die Kirchbürger auf den 21. Juni 1981 zu einer ausserordentlichen Kirchgemeindeversammlung einladen und folgende Anträge stellen:

1."Die evangelische Kirchgemeinde Roggwil/TG verleiht, gestützt auf

die Bestimmungen von § 6 Abs. 3 des Organisationsgesetzes der evangelischen

Landeskirche des Kantons Thurgau, den ausländischen, ordinierten Pfarrern

die passive Wahlfähigkeit."

2."Pfarrer Klaus Joachim Wagner, geb. 8. September 1939, deutscher

Staatsangehöriger (urspr. von Siebenbürgen/Rumänien), derzeit Pfarrer in

Wil/SG, wird als Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde Roggwil/TG mit

Amtsantritt per 15. Oktober 1981 gewählt."

Mit Antwortschreiben vom 17. Juni 1981 an die Kirchenvorsteherschaft Roggwil stellte der Evangelische Kirchenrat fest, ein Pfarrer bekleide ein öffentliches Amt, weshalb nach dem kantonalen Gesetz über Wahlen und Abstimmungen nur SchweizerbürgerBGE 108 Ia 264 S. 266

wählbar seien. Zwar habe die Landeskirche den Kirchgemeinden mit § 6 Abs. 3 des Organisationsgesetzes die Möglichkeit gegeben, für Gemeindeangelegenheiten das Stimm- und Wahlrecht in vollem oder beschränktem Umfange auch den evangelischen Ausländern zu geben. Es sei aber nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, diese Bestimmung auf die Wahl eines Pfarrers anzuwenden. Es käme einer willkürlichen Anwendung des Organisationsgesetzes gleich, wenn eine Kirchgemeinde einer einzigen Person oder einer Personengruppe ohne Schweizerbürgerrecht das Stimm- und Wahlrecht zuerkennen würde. Ein ordinierter Pfarrer ohne Schweizerbürgerrecht könne vom Kirchenrat als Verweser oder Pfarrvikar gewählt und in einer Kirchgemeinde vollumfänglich wie ein Pfarrer eingesetzt werden.

Die Kirchenvorsteherschaft Roggwil beharrte auf ihrem Standpunkt und unterbreitete einer auf den 28. Juni 1981 einberufenen Kirchbürgerversammlung die im Schreiben vom 29. Mai 1981 an den Kirchenrat angekündigten Anträge. Beide Anträge wurden von der Versammlung mit 150 Stimmen ohne Gegenstimme angenommen. Mit Schreiben vom 10. Juli 1981 ersuchte die Kirchenvorsteherschaft der Gemeinde Roggwil den Kirchenrat um Genehmigung der Wahl von Pfarrer Klaus J. Wagner.

Am 12. August 1981 verfügte der Evangelische Kirchenrat des Kantons Thurgau, Pfarrer Klaus J. Wagner werde als Pfarrvikar der evangelischen Kirchgemeinde Roggwil ernannt.

Pfarrer Klaus J. Wagner und die evangelische Kirchgemeinde Roggwil erheben gegen diese Verfügung des Kirchenrates staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie, und des Art. 4 BV.

Extrait des considérants:

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 84 Abs. 1 OG kann gegen kantonale Erlasse und Verfügungen (Entscheide) staatsrechtliche Beschwerde geführt werden. Gegenstand der Beschwerde können nur Hoheitsakte bilden, die von einer kantonalen Behörde ausgehen und auf kantonaler Herrschaftsgewalt beruhen (Birchmeier, Bundesrechtspflege, S. 310; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4. Auflage, N. 134 und 135, S. 87). Zu den anfechtbaren kantonalen Hoheitsakten gehören auch Erlasse und Verfügungen, welche von kantonalen Selbstverwaltungskörpern, also von Gemeinden und kirchlichen Behörden ausgehen, und sogar solche von Privaten,BGE 108 Ia 264 S. 267

wenn diese vom Kanton mit hoheitlicher Gewalt ausgestattet worden sind (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 310/11; MARTI, a.a.O., N. 139, S. 88;BGE 105 Ia 278 E. 1b,BGE 104 Ia 174 E. 2a,BGE 103 Ia 551 E. 5c,BGE 95 I 339 E. 1).

§ 17 Abs. 3 der Verfassung des Kantons Thurgau (KV) gesteht der evangelischen und der katholischen Landeskirche sowie auch andern Religionsgenossenschaften innerhalb der Schranken der staatlichen Ordnung das freie Selbstkonstituierungsrecht zu. Nach § 56 Abs. 1 KV ordnen die evangelische und die katholische Landeskirche ihre Kultusverhältnisse selbständig, in gemischt staatlich-kirchlichen Dingen jedoch unter der Oberaufsicht und unter Vorbehalt der Genehmigung des Staates. Durch diese Verfassungsnormen erlangt die Landeskirche öffentlichrechtliche Anerkennung, sie wird somit, wie gesagt wird, zu einer "Potenz des öffentlichen Rechts" (JOHANNES GEORG FUCHS, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Aschendorff 1971, Bd. 5, S. 134). Die evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau hat sich durch konfessionelle Volksabstimmung ein Organisationsgesetz (im folgenden als KOG bezeichnet) gegeben, nach welchem sie ihre Angelegenheiten innerhalb der ihr...

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