Arrêt nº 6B 235/2007 de Cour de Droit Pénal, 13 juin 2008

Date de Résolution13 juin 2008
SourceCour de Droit Pénal

veröffentlichter Text

Chapeau

134 IV 193

20. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen A. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

6B_235/2007 vom 13. Juni 2008

Faits à partir de page 195

BGE 134 IV 193 S. 195

- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führte gegen A. eine Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung und vorsätzlichen Verbreitens menschlicher Krankheiten. Mit Einstellungsverfügung vom 26. November 2004 wurde das Strafverfahren eingestellt. Die Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen.

Die Staatsanwaltschaft erhob indessen Anklage wegen fahrlässiger Begehung der gleichen Delikte. In der Anklageschrift vom 28. Juli 2005 wird A. vorgeworfen, er habe die Geschädigte X. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr im Frühjahr/Sommer 2002 mit dem HI-Virus angesteckt. Dazu sei es gekommen, obwohl er früher mehrfach mit B. ungeschützt sexuell verkehrt und diese ihm im Juli 2000 mitgeteilt habe, dass sie HIV-positiv sei. Im Wissen um die Möglichkeit, von B. oder einer anderen Person mit dem HI-Virus angesteckt worden zu sein, habe A. es unterlassen, einen HIV-Test zu machen, und die Geschädigte über das Ansteckungsrisiko nicht aufgeklärt. Damit habe er den ungeschützten Geschlechtsverkehr - auf die Nichtexistenz der eigenen HIV-Positivität und das Ausbleiben einer Infizierung vertrauend - in pflichtwidriger Unvorsicht ausgeführt.

- Das Bezirksgericht Zürich sprach A. am 27. März 2006 der fahrlässigen schweren Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB) sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 2 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 9 Monaten. Es verpflichtete ihn, der Geschädigten X. eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.- zu bezahlen und ihr den aus der HIV-Infizierung entstandenen Schaden vollumfänglich zu ersetzen. Für die Bemessung des Schadenersatzes verwies es die Geschädigte auf den Zivilweg.

- Gegen das Urteil des Bezirksgerichts erhob A. Berufung (im Schuldpunkt) und X. Anschlussberufung (im Zivilpunkt). Mit Urteil vom 28. März 2007 sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. vollumfänglich frei. Auf die Zivilforderungen der Geschädigten trat es nicht ein. BGE 134 IV 193 S. 196

- X. führt gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. März 2007 Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Beschwerdegegner der schweren fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten im Sinne von Art. 231 Ziff. 2 StGB schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.

X. verlangt weiter, der Beschwerdegegner sei zu Schadenersatz und Genugtuung zu verpflichten, es seien ihm die Kosten des vorinstanzlichen und des vorliegenden Verfahrens vollumfänglich aufzuerlegen, und sie sei für beide Verfahren angemessen zu entschädigen. Schliesslich stellt sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

- Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich lässt sich mit dem Antrag auf Gutheissung der Beschwerde vernehmen. A. beantragt deren vollumfängliche Abweisung.

Extrait des considérants:

Aus den Erwägungen:

-

- Die Vorinstanz hält eingangs fest, es sei unbestritten, dass der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin Anfang/Mitte Juni 2002 ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Der erste positive HIV-Test der Beschwerdeführerin datiere vom 14. August 2002. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liege der Ansteckungszeitpunkt gemäss den Ausführungen des behandelnden Arztes, Dr. med. C., im Juni 2002, was durch das Gutachten von Prof. Dr. D. und Dr. E. vom Nationalen Zentrum für Retroviren der Universität Zürich vom 5. August 2004 bestätigt werde.

- Die Vorinstanz würdigt das Gutachten vom 5. August 2004 als einziges direktes Beweismittel für die Frage, ob der Beschwerdegegner Ende Mai 2002 HIV-positiv gewesen sei und er das HI-Virus direkt auf die Beschwerdeführerin übertragen habe.

- Die Sachverständigen führten im Gutachten aus:

"Beim Virus des Angeschuldigten handelt es sich um eine bisher nicht charakterisierte Rekombinante. (...) Mehrere Sequenzvergleiche mit verschiedenen Datenbanken aus der Schweiz und im öffentlichen internationalen Bereich ergaben keine nahe verwandten HIV-1-Isolate. Es handelt sich deshalb nicht um ein weit verbreitetes, gut charakterisiertes Virus."

Aufgrund der Divergenzen gegenüber anderen uns zur Verfügung stehenden Isolaten mit Sequenzen des Subtyps A sowie der statistischen Tests BGE 134 IV 193 S. 197

('Bootstrapping') ist an einem gemeinsamen phylogenetischen Ursprung der Probandenisolate nicht zu zweifeln.

Die zusammenfassende Beurteilung der Sachverständigen lautete:

"Für die Beurteilung einer möglichen Virusübertragung zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten ist der Umstand relevant, dass die Sequenz MB15181_2 und MB15181_3 des Angeschuldigten einen gemeinsamen Ast mit allen Sequenzen der Geschädigten bilden, der durch die statistische Analyse ebenfalls sehr gut abgesichert ist. Die Isolate der Geschädigten entspringen aus einem Ast, der dem Angeschuldigten zuzuordnen ist, und sie liegen alle innerhalb des Sequenzenschwarms des Angeschuldigten."

"Die Infektion erfolgte deshalb in der Richtung vom Angeschuldigten auf die Geschädigte. (...) Diese Schlussfolgerungen sind ebenfalls vereinbar mit den klinischen Befunden, wonach aufgrund der niedrigen CD4-Werte des Angeschuldigten die Infektion bei ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit früher als bei der Geschädigten erfolgte."

"Mit Hilfe der vorliegenden Virussequenzen kann zwar die Richtung der Virusübertragung festgestellt werden, es ist aber nicht möglich festzustellen, ob die Übertragung direkt oder indirekt, d.h. über eine in dieser Untersuchung nicht vertretene weitere Person, welche vom Angeschuldigten infiziert worden wäre und das Virus dann auf die Geschädigte übertragen hätte, erfolgte. Aufgrund der Tatsache, dass der wiederholte ungeschützte Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten unbestritten ist und dass laut Akten in der fraglichen Zeit keine weiteren Sexualpartner vorhanden waren, kann eine Infektion der Geschädigten durch eine solche Drittperson jedoch praktisch ausgeschlossen werden."

- Die Vorinstanz folgt den Ausführungen der Sachverständigen insofern, als sie feststellt, dass das HI-Virus der Beschwerdeführerin von jenem des Beschwerdegegners abstammt, mithin dieser bereits infiziert war, bevor sie (im Juni 2002) ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Hingegen erachtet sie den Schluss, eine Infektion über eine Drittperson könne praktisch ausgeschlossen werden, als unzulässig. Wesentlich sei die Aussage, es sei nicht möglich festzustellen, ob die Übertragung direkt oder indirekt erfolgte. Die Möglichkeit einer direkten Übertragung sei somit genau so wahrscheinlich wie die Möglichkeit einer indirekten Übertragung über eine oder mehrere Drittpersonen, was die Sachverständigen ausdrücklich offenliessen.

- Die Vorinstanz prüft in der Folge, ob sich die Beschwerdeführerin bis zum positiven Testresultat im August 2002 auf indirektem Wege mit dem HI-Virus des Beschwerdegegners infiziert haben könnte. BGE 134 IV 193 S. 198

- Den Aussagen der Beschwerdeführerin zufolge käme in der Tat nur der Beschwerdegegner als Infektionsquelle in Betracht, weil er der einzige Mann gewesen wäre, mit dem sie ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Darauf sei aber nicht abzustellen. Gerade im Kernpunkt, nämlich der Frage, mit welchen Männern und wie oft sie in der fraglichen Zeit Geschlechtsverkehr hatte, habe die Beschwerdeführerin nicht konzis, widerspruchsfrei und gleichbleibend ausgesagt. Anfänglich habe sie ihre Beziehung zu F. zwischen April 2001 und Mai 2002 verschwiegen. Sodann habe sie zwar eine kurze Beziehung zu einer Discobekanntschaft ("G.") erwähnt, später aber einräumen müssen, dass sie mit G. im Mai 2002 zweimal Geschlechtsverkehr hatte. Ferner falle auf, dass sie zum Kontakt in der Disco aussagte, sie habe sich "immer geschützt", obwohl sie nur von einer Discobekanntschaft erzählte. Damit sei nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit noch mit anderen Männern verkehrte, und es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um ungeschützten Geschlechtsverkehr gehandelt habe.

- Nach den Aussagen des Beschwerdegegners sei es im Juni/ Juli 2002 zweimal zu ungeschützten sexuellen Kontakten mit H. gekommen, die in Spanien wohnt. Er habe sie für ein Wochenende in die Schweiz nach Zürich eingeladen, womöglich als die Beschwerdeführerin - vom 16. Juli 2002 bis 2. August 2002 - in Brasilien war. H. habe er zwei bis drei Monate vorher in Marbella kennen gelernt, wo es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.

- Gestützt auf diese Aussagen kommt die Vorinstanz zum Schluss, es sei "denkbar und nicht völlig realitätsfremd", dass der Beschwerdegegner H. in Marbella mit dem HI-Virus infizierte und diese ihrerseits einem unbekannten Dritten das Virus weitergab, welcher es dann auf die Beschwerdeführerin übertrug. Damit fehle es am Nachweis einer direkten Übertragung des HI-Virus durch den Beschwerdegegner bzw. am Kausalzusammenhang.

- Die Beschwerdeführerin begründet ihre Willkürrüge im Einzelnen wie folgt: Es gebe keine Hinweise darauf, dass sie im relevanten Zeitraum Juni 2002 noch mit weiteren Personen ungeschützt sexuell verkehrt habe. Die Möglichkeit, dass der Beschwerdegegner H. im Juni/Juli 2002 mit dem HI-Virus angesteckt haben soll, diese wiederum einen unbekannten Dritten, der das Virus im Juni 2002 auf sie übertragen haben könnte, sei eine rein theoretische Möglichkeit, BGE 134 IV 193 S. 199

denn: (1.) All dies müsste sich innerhalb eines Monates, nämlich im Juni 2002, abgespielt haben. (2.) H. wohnte primär in Spanien und besuchte den Beschwerdegegner nur einmal in der Schweiz. (3.) Zu diesem...

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