Arrêt nº 1P.223/2003 de Ire Cour de Droit Civil, 27 août 2003

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Date de Résolution27 août 2003
SourceIre Cour de Droit Civil

veröffentlichter Text

Chapeau

129 I 366

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Schäppi und Mitb. gegen Regierungsrat und Kantonsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)

1P.223/2003 vom 27. August 2003

Faits à partir de page 367

BGE 129 I 366 S. 367

Mit der Änderung der Staatsverfassung des Kantons Zürich (SR 131.211) vom 7. Juli 1963 wurde das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat neu geordnet. Insbesondere wurden die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit garantiert, drei Religionsgemeinschaften als öffentlichrechtliche Körperschaften anerkannt, deren Stellung umschrieben, die sog. historischen Rechtstitel gewahrt und für die öffentlichrechtlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften die Bestimmungen des Privatrechts als massgeblich erklärt (Art. 64; BBl 1963 II 487 und 852). Im gleichen zeitlichen Zusammenhang wurden das Gesetz über die evangelisch-reformierte Landeskirche und das Gesetz über das römisch-katholische Kirchenwesen erlassen. - In der Folge blieben mehrere Fragenkomplexe zum Verhältnis zwischen Kirchen und Staat kontrovers. Über zwei kantonale, 1977 und 1995 abgelehnte Initiativen auf Trennung von Staat und Kirche hinaus gaben zu Diskussionen Anlass die Fragen der Ablösung der sog. historischen Rechtstitel, der Kirchensteuer (für juristische Personen und Kollektivgesellschaften), der öffentlichrechtlichen Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften, der Organisationsautonomie der öffentlichrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften sowie des Stimmrechts von Ausländern.

Am 31. März 2003 beschloss der Kantonsrat des Kantons Zürich eine grundlegende Neugestaltung der Stellung von Religionsgemeinschaften. Zum einen verabschiedete er eine Änderung der Kantonsverfassung zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat, gestützt darauf zum andern das Kirchengesetz und das Gesetz über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften (Anerkennungsgesetz). Die Änderung der Kantonsverfassung vom 31. März 2003 (im Folgenden: nKV) hat, soweit im vorliegenden Fall von Bedeutung, folgenden Wortlaut:

Art. 16

3 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie die

weiteren, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten

Religionsgemeinschaften regeln das Stimm- und Wahlrecht ihrer Mitglieder

unter Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen selbst.

Art. 47

4 Die Zuständigkeit zur Neubildung, Vereinigung oder Auflösung von

Kirchgemeinden kann durch die Gesetzgebung den kirchlichen

Körperschaften übertragen werden.

Art. 64

1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.

2 Religionsgemeinschaften können staatlich anerkannt werden.

BGE 129 I 366 S. 368

3 Durch die Anerkennung werden die Religionsgemeinschaften zu

Körperschaften des öffentlichen Rechts oder erlangen andere Rechte.

Das Gesetz regelt die Voraussetzungen, Formen und Wirkungen der

Anerkennung.

4 Die evangelisch-reformierte Kirche, die römisch-katholische Kirche

und die christkatholische Kirche sind staatlich anerkannt. Die

evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, die

römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden sowie die

christ-katholische Kirchgemeinde sind Körperschaften des öffentlichen

Rechts.

5 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind im

Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Die Gesetzgebung regelt die

Grundzüge ihrer Organisation, ihre Kompetenz zur Besteuerung der

natürlichen und juristischen Personen sowie die staatlichen Beiträge.

Die Oberaufsicht des Staates bleibt vorbehalten.

6 Die Stimmberechtigten der Kirchgemeinden wählen ihre Pfarrerinnen

beziehungsweise Pfarrer auf Amtsdauer.

Gemäss dem Antrag des Regierungsrates zur Verfassungsänderung soll mit der angestrebten Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat eine erhöhte Autonomie der Kirchen erreicht werden, was Änderungen vor allem in den Bereichen des Stimmrechts sowie der strukturellen und organisatorischen Zuständigkeiten bedinge. Ferner werde die staatliche Finanzierung kirchlicher Tätigkeiten auf eine neue Grundlage gestellt werden und sollen die Bestimmungen über die historischen Rechtstitel aufgehoben und das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern für juristische Personen in der Verfassung verankert werden. Schliesslich sollen die drei genannten Religionsgemeinschaften als öffentlichrechtliche Körperschaften mit weitgehender Autonomie anerkannt werden und die verfassungsrechtliche Grundlage für ein Gesetz zur Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften geschaffen werden. - Anlässlich der Beratungen der Vorlage im Kantonsrat wurde u.a. die Frage einer allfälligen Aufteilung der Verfassungsvorlage in zwei Teile diskutiert, entsprechende Anträge wurden indessen abgelehnt und die Änderung der Kantonsverfassung als eine einheitliche Vorlage verabschiedet.

Peter Schäppi und weitere Stimmbürger und Stimmbürgerinnen haben beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 85 lit. a OG erhoben und wegen Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV gerügt. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Zusammenfassung der Entflechtung des Verhältnisses zwischen Kirchen und StaatBGE 129 I 366 S. 369

einerseits und der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften anderseits verunmögliche eine freie Willenskundgabe.

Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab.

Extrait des considérants:

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführer machen mit ihrer Stimmrechtsbeschwerde geltend, die vom Kantonsrat beschlossene Verfassungsänderung missachte den Grundsatz der Einheit der Materie und dürfe daher nicht in dieser Form der Volksabstimmung unterbreitet werden.

2.1 Der Grundsatz der Einheit der Materie ist im zürcherischen Recht nur hinsichtlich der Volksinitiative ausdrücklich verankert; nach § 4 Abs. 1 Ziff. 4 des Initiativgesetzes sind Volksinitiativen ungültig, welche Begehren verschiedener Art enthalten, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, es handle sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Kantonsverfassung.

Der Grundsatz der Einheit der Materie gilt indessen generell auch von Bundesrechts wegen. Das unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung als ungeschriebenes Verfassungsrecht gewährleistete Stimm- und Wahlrecht räumte dem Bürger allgemein den Anspruch ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (vgl.BGE 121 I 138 E. 3 S. 141, mit Hinweisen auf die Entwicklung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit). Daraus wurde seit 1964 u.a. der Grundsatz der Einheit der Materie abgeleitet: Im Falle eines Finanzreferendums erkannte das Bundesgericht, dass Kredite für Schulhaus- und Spitalbauten nicht zu einem einzigen Abstimmungsgegenstand verbunden werden dürften; "sinon le citoyen, qui est favorable à l'un des projets, est obligé ou de le repousser pour manifester son opposition à l'autre ou de l'accepter, mais en faisant croire alors par son vote qu'il appuie le second" (BGE 90 I 69 E. 2b S. 74;BGE 99 Ia 177 E. 3c S. 182; fernerBGE 123 I 63 E. 4b S. 71;BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52;BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 376).

Art. 34 Abs. 2 BV schützt neu ausdrücklich die freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit übernimmt den Gehalt des ungeschriebenen Verfassungsrechts in die neue Bundesverfassung (BGE 129 I 232 E. 4.2 S. 244 mit Hinweisen). Dazu zählt auch der Grundsatz der Einheit der Materie (Urteil 1P.123/2002 vom 25. Juni 2003, E. 3.2; GEROLD STEINMANN, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 10 und 13 zu Art. 34 BV). Die Beschwerdeführer stützen ihre Rüge, die ÄnderungBGE 129 I 366 S. 370

der Kantonsverfassung missachte den Grundsatz der Einheit der Materie, daher zu Recht auf Art. 34 Abs. 2 BV ab (vgl.BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223).

2.2 Der Grundsatz der Einheit der Materie verlangt, dass zwei oder mehrere Sachfragen und Materien nicht in einer Art und Weise miteinander zu einer einzigen Abstimmungsvorlage verbunden werden, die die Stimmberechtigten in eine Zwangslage versetzen und ihnen keine freie Wahl zwischen den einzelnen Teilen belassen. Wird der Grundsatz missachtet, können die Stimmbürger ihre Auffassung nicht ihrem Willen gemäss zum Ausdruck bringen: entweder müssen sie der Gesamtvorlage zustimmen, obschon sie einen oder gewisse Teile missbilligen, oder sie müssen die Vorlage ablehnen, obwohl sie den andern oder andere Teile befürworten (vgl.BGE 90 I 69 E. 2 S. 73 f.;BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223;BGE 99 Ia 724 E. 3 S. 731 und 732 f.;BGE 97 I 669 E. 3 S. 672;BGE 96 I 636 E. 7 S. 652; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3b; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 363; YVO HANGARTNER/ANDREAS KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, Rz. 2481).

Dieser Zielrichtung entsprechend ist der Grundsatz der Einheit der Materie bei allen Vorlagen zu beachten, die den Stimmberechtigten zum Entscheid unterbreitet werden. Grundsätzlich ist es daher unerheblich, ob es sich um eine Initiative oder Behördenvorlage, um Partial- oder Totalrevisionen von Verfassungen oder Gesetzen oder um Gesetzes- oder Finanzvorlagen handelt (BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471;BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52;BGE 105 Ia 370 4b S. 376;BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223;BGE 99 Ia 177 E. 3a S. 182, 638 E. 5b S. 646;BGE 97 I 669 E. 3 S. 673; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a; vgl. auch Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3c).

Damit steht nicht im Gegensatz, dass die Rechtsprechung den Grundsatz der Einheit der Materie entsprechend der Art der Vorlage differenziert gewichtet (BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471; ZBl 96/1995 S. 470). Höhere Ansprüche werden bei Partialrevisionen der Verfassung gestellt als bei Totalrevisionen; insbesondere gilt es Initiativen auf teilweise Verfassungsänderung von solchen auf Totalrevision, die bisweilen ein unterschiedliches Verfahren auslösen...

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