Arrêt nº 6S.471/2002 de Cour de Droit Pénal, 26 mai 2003

Conférencierpublié
Date de Résolution26 mai 2003
SourceCour de Droit Pénal

veröffentlichter Text

Chapeau

129 IV 282

43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zug gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)

6S.471/2002 vom 26. Mai 2003

Faits à partir de page 282

A.- Am 30. September 1997 um 16.35 Uhr fuhr X. mit seinem Personenwagen des Typs Range Rover auf der A.strasse in C. talwärts. Etwas oberhalb der rechtsseitigen Einmündung zum B.rainBGE 129 IV 282 S. 283

standen der fünfjährige Y. und seine Begleiterin, die knapp achtzehnjährige Z., bei der Einmündung einer privaten Zufahrtsstrasse am linken Fahrbahnrand. Die beiden Fussgänger, welche sich zuvor aus der Zufahrtsstrasse genähert hatten, beabsichtigten die A.strasse an dieser Stelle zu überqueren, weil sie auf der anderen Strassenseite in den B.rain einbiegen wollten und weil auf der linken Strassenseite kein Trottoir vorhanden war. Sie warteten einen bergwärts fahrenden Personenwagen ab. Nachdem dieser passiert hatte, sprang Y., der links neben seiner Begleiterin gestanden und sich an einer von dieser mitgeführten Tasche gehalten hatte, plötzlich auf die Strasse. In diesem Moment näherte sich von rechts X. mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Es kam zu einer Kollision zwischen X.s Personenwagen und Y. Das Kind wurde von der Frontpartie des Wagens am Kopf getroffen und auf die Strasse geschleudert. Es verstarb in der Folge an seinen schweren Kopfverletzungen.

X. hatte Bremsbereitschaft erstellt, als er die beiden Fussgänger wahrnahm. Im Moment, als Y. zu rennen begann, konnte er die Kollision nicht mehr verhindern.

Die Sichtweite der Fussgänger bergwärts, woher sich X. genähert hatte, betrug ungefähr 85 Meter. X. war der Auffassung, mit der Begleiterin von Y. Blickkontakt aufgenommen zu haben, was diese aus ihrer Sicht nicht bestätigen konnte. X. hatte seine Aufmerksamkeit auf Z. gerichtet, nicht aber auf Y. Da das verunfallte Kind auf der linken Seite seiner Begleiterin gestanden hatte, konnte X. nicht feststellen, ob diese das Kind an der Hand hielt; er war jedoch davon ausgegangen, dass dies der Fall sei.

B.- Auf Grund dieses Sachverhalts erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug am 9. August 2001 gegen X. Anklage wegen fahrlässiger Tötung.

Gestützt auf Art. 66bis StGB verzichtete der zuständige Jugendanwalt auf die Eröffnung eines Jugendstrafverfahrens gegen die Begleiterin des verunfallten Kindes.

C.- Von der Anklage der fahrlässigen Tötung sprach das Einzelrichteramt des Kantons Zug X. mit Urteil vom 30. Januar 2002 frei. Das Strafgericht des Kantons Zug wies die von der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch erhobene Berufung am 5. Juli 2002 ab und bestätigte den erstinstanzlichen Freispruch.

D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Strafgerichts vom 5. Juli 2002 sei aufzuheben, und die Sache sei zur Schuldigsprechung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz zurückzuweisen.

BGE 129 IV 282 S. 284

Extrait des considérants:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Gemäss Art. 117 StGB wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Fahrlässig begeht der Täter ein Verbrechen oder Vergehen, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass er die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 1 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB;BGE 127 IV 34 E. 2a;BGE 121 IV 10 E. 3;BGE 122 IV 17 E. 2b, 133 E. 2a, 145 E. 3b sowie 225 E. 2a, je mit Hinweisen). Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 122 IV 17 E. 2b/aa mit Hinweisen). Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung ist die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., Bern 1996, § 16 N. 16; TRECHSEL/NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 5. Aufl., Zürich 1998, S. 269 f.; RIKLIN, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., Zürich 2002, S. 193, § 16 N. 44).

Es ist daher zu prüfen, ob der Täter eine Gefährdung des Kindes hätte voraussehen bzw. erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss sein Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursachen hinzutreten, mit welchen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste UrsacheBGE 129 IV 282 S. 285

des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 127 IV 34 E. 2a;BGE 122 II 315 E. 3c;BGE 122 IV 17 E. 2c/bb;BGE 121 IV 10 E. 3 und 286 E. 3;BGE 120 IV 300 E. 3e, je mit Hinweisen).

2.2

2.2.1 Der Fahrzeuglenker ist gegenüber dem Fussgänger, der die Strasse ausserhalb eines Fussgängerstreifens zu überqueren beabsichtigt, grundsätzlich vortrittsberechtigt, auch wenn er ihm gemäss Art. 33 Abs. 1 SVG das Überqueren der Strasse in angemessener Weise zu ermöglichen hat. Dieses Vortrittsrecht gilt jedoch nicht unbedingt, sondern nur unter dem Vorbehalt von Art. 26 Abs. 2 SVG (BGE 94 IV 124 E. 4a;BGE 106 IV 391 [=JdT 1981 I S. 420]).

Das Mass der Sorgfalt, die vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (BGE 122 IV 225 E. 2b S. 228). Gesetzliche Grundlage der vom Fahrzeuglenker im Strassenverkehr zu beachtenden Sorgfalt bilden die im Strassenverkehrsgesetz und in den dazu gehörenden Verordnungen statuierten Verkehrsregeln. Gemäss der Grundregel von Art. 26 Abs. 1 SVG muss sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Aus dieser Bestimmung haben Rechtsprechung und Lehre den so genannten Vertrauensgrundsatz abgeleitet. Danach darf jeder Strassenbenützer darauf vertrauen, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäss verhalten.

Solches Vertrauen ist jedoch unter bestimmten in Art. 26 Abs. 2 SVG enumerierten Umständen nicht gerechtfertigt und kann deshalb sorgfaltspflichtwidrig sein. Dies gilt zunächst, wenn bereits Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird oder wenn ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers auf Grund einer unklaren Verkehrssituation nach der allgemeinen Erfahrung unmittelbar in die Nähe rückt. Art. 26 Abs. 2 SVG gebietet ausserdem eine besondere Vorsicht gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten (BGE 125 IV 83 E. 2b S. 87 f.; Urteil des Bundesgerichts 6S.120/1998 vom 3. April 1998, E. 2b, publ. in: Pra 87/1998 Nr. 125 S. 692). Die gegenüber den erwähnten Personen vorgeschriebene besondere Vorsicht bedeutet, dass eine Berufung auf das Vertrauensprinzip grundsätzlich selbst dann unzulässig ist, wenn keine konkreten Anzeichen dafür vorliegen, dassBGE 129 IV 282 S. 286

sich Kinder, Gebrechliche oder alte Personen unkorrekt verhalten werden (BGE 104 IV 28 E. 3c;BGE 115 IV 239 E. 2; RAPHAEL VON WERRA, Du principe de la confiance dans le droit de la circulation routière ..., ZWR 4/1970 S. 200). In der deutschen Lehre wird in diesem Zusammenhang von einem Misstrauensgrundsatz gesprochen, der folgenden Inhalt hat: "Eine Begegnung mit einem Kind im Alter bis zu 10 Jahren ist in der Regel so gefährlich, dass der Kraftfahrer, unabhängig vom mutmasslichen Verhalten des Kindes, von sich aus alles tun muss, um einen Unfall zu verhüten." [KLAUS KIRSCHBAUM, Der Vertrauensschutz im deutschen Strassenverkehrsrecht, Diss. Berlin 1980, S. 249]). Gegenüber den im Gesetz aufgezählten Personen bedarf es umgekehrt besonderer Umstände, welche positiv für ein begrenztes Vertrauen in deren ordnungsgemässes Verhalten im Verkehr sprechen (BGE 115 IV 239; vgl. auch SCHAFFHAUSER, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts, 2. Aufl., 2002, Bd. I, N. 441).

Besondere Vorsicht gegenüber Kindern im Strassenverkehr schreiben auch Art. 4 Abs. 3 und Art. 29 Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) vor: Die erste Bestimmung verlangt, dass die Geschwindigkeit zu mässigen oder dass gegebenenfalls anzuhalten sei, wenn Kinder im Strassenbereich nicht auf den Verkehr achten; die zweite schreibt unter denselben Voraussetzungen die Abgabe akustischer Warnsignale vor.

Die Pflicht zu besonderer Vorsicht auch ohne konkrete Anzeichen eines Fehlverhaltens geht indessen nicht so weit, dass der Führer eines Motorfahrzeugs beim Anblick eines Kindes in jedem Fall seine Fahrt verlangsamen und Hupsignale geben müsste. Dies ist innerorts lediglich etwa geboten, wenn das Kind sich auf der Fahrbahn oder am Strassenrand befindet, nicht aber wo es auf...

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