Arrêt nº 1P.494/2001 de Ire Cour de Droit Civil, 14 août 2002

Conférencierpublié
Date de Résolution14 août 2002
SourceIre Cour de Droit Civil

veröffentlichter Text

Chapeau

128 I 254

25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. E. Gilgen-Müller und P. Aebi gegen Regierungsrat und Grossen Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)

1P.494/2001 vom 14. August 2002

Faits à partir de page 255

BGE 128 I 254 S. 255

Am 4. April 2001 beschloss der Grosse Rat des Kantons Bern eine Änderung des bernischen Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG). Die Revision diente in erster Linie der Anpassung des kantonalen Rechts an das revidierte Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (in der Fassung vom 20. März 1998; RPG; SR 700) und die Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1), die beide am 1. September 2000 in Kraft getreten waren.

Art. 84 des geänderten Baugesetzes lautet:

1. Der Regierungsstatthalter entscheidet über die Zonenkonformität in der Landwirtschaftszone und über Ausnahmegesuche nach den Artikeln 24 bis 24d RPG. Er holt Amts- und Fachberichte von den betroffenen kantonalen Amtsstellen ein.

2. Er teilt die Ausnahmeentscheide der zuständigen Stelle der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion mit.

3. Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion und die Volkswirtschaftsdirektion erlassen Richtlinien über die Zonenkonformität von Vorhaben in der Landwirtschaftszone und über Ausnahmen nach den Artikeln 24 bis 24d RPG. Die zuständigen Stellen der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion sowie der Volkswirtschaftsdirektion beraten den Regierungsstatthalter in diesen Fragen.

4. [Unverändert.]

Am 26. Juli 2001 erhoben Elisabeth Gilgen-Müller und Peter Aebi staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag,BGE 128 I 254 S. 256

Art. 84 Abs. 1 BauG sei aufzuheben wegen Verletzung von Art. 25 Abs. 2 RPG als bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschrift und Verstosses gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV). Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Mit Beschwerdeergänzung vom 14. Januar 2002 hielten die Beschwerdeführer an ihrem Antrag fest und erhoben ausdrücklich die Rüge der Verletzung von Art. 49 Abs. 1 BV.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt Art. 84 Abs. 1 BauG wegen Verletzung des Vorranges von Bundesrecht auf.

Extrait des considérants:

Aus den Erwägungen:

3. Art. 25 RPG (in der Fassung des Gesetzes vom 20. März 1998) lautet:

Art. 25 Kantonale Zuständigkeiten

1. Die Kantone ordnen Zuständigkeiten und Verfahren.

1bis Sie legen für alle Verfahren zur Errichtung, Änderung oder Zweckänderung von Bauten und Anlagen Fristen und deren Wirkungen fest.

2. Die zuständige kantonale Behörde entscheidet bei allen Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen, ob sie zonenkonform sind oder ob für sie eine Ausnahmebewilligung erteilt werden kann.

Dies entspricht materiell der bereits zuvor geltenden Regelung: Bis zum 1. September 2000 bestimmte Art. 25 Abs. 2 aRPG: "Ausnahmen nach Art. 24 werden durch eine kantonale Behörde oder mit deren Zustimmung bewilligt." Diese Regelung wurde durch Art. 25 Abs. 1 der Raumplanungsverordnung vom 2. Oktober 1989 (AS 1989 S. 1985) wie folgt ergänzt: "Die zuständige kantonale Behörde (Art. 25 Abs. 2 RPG) prüft bei allen Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen, ob sie eine Ausnahmebewilligung (Art. 24 RPG) benötigen." Dieselbe Regelung enthielt bereits Art. 16 der Raumplanungsverordnung vom 26. März 1986 (AS 1986 S. 626).

3.1 Art. 25 Abs. 1 RPG statuiert den Grundsatz der Organisationsautonomie der Kantone. Dieser Grundsatz wird in Abs. 2 insofern eingeschnränkt, als die Zuständigkeit einer kantonalen Behörde vorgeschrieben wird: Während es den Kantonen üblicherweise freisteht, ihre Aufgaben an die Gemeinden zu delegieren, verlangt Art. 25 Abs. 2 RPG (wie schon Art. 25 Abs. 2 aRPG) nach einhelliger Rechtsprechung und Lehre, dass Ausnahmebewilligungen für Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen entweder durch eine kantonale Behörde oder mit deren Zustimmung zu erteilen sind (BGE 109BGE 128 I 254 S. 257

Ib 125 E. 2c S. 129;BGE 111 Ib 213 E. 5a S. 220;BGE 115 Ib 302 E. 5d/bb S. 308, 400 E. 4a S. 405; ALEXANDER RUCH, RPG-Kommentar, Art. 25 Rz. 25 ff.; WALTER HALLER/PETER KARLEN, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Bd. I, 3. Aufl., Rz. 786 S. 216; LEO SCHÜRMANN/PETER HÄNNI, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 3. Aufl., S. 176; CHRISTOPH BANDLI, Bauen ausserhalb der Bauzonen, Diss. Bern 1989, Rz. 152 S. 112 f.; THOMAS MÜLLER, Die erleichterte Ausnahmebewilligung, Diss. Zürich 1990, S. 164 f.; PETER HEER, Die raumplanungsrechtliche Erfassung von Bauten und Anlagen im Nichtbaugebiet, Diss. Zürich 1995, S. 72). Das Bundesgericht hat mehrfach entschieden, dass Ausnahmebewilligungen, die ohne Mitwirkung einer kantonalen Behörde von der Gemeinde erteilt werden, rechtswidrig und u.U. sogar nichtig sind (BGE 111 Ib 213 E. 5 S. 220 f.).

Fraglich ist jedoch, ob Art. 25 Abs. 2 RPG weitergehende Anforderungen stellt und verlangt, dass eine einzige kantonale Behörde über sämtliche Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone entscheidet, d.h. eine Delegation an eine Mehrzahl dezentralisierter Kantonsbehörden verbietet. Diese Auffassung vertreten die Beschwerdeführer und das Amt für Raumentwicklung; sie wird vom Regierungsrat des Kantons Bern bestritten.

3.2 Der Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 RPG ist nicht eindeutig: "Die kantonale Behörde" kann sich auf eine einzige kantonale Behörde wie auch auf die im jeweiligen Fall örtlich zuständige kantonale Behörde beziehen.

3.2.1 Der Regierungsrat macht in diesem Zusammenhang geltend, dass der Gesetzgeber, hätte er bewusst nur eine einzige kantonale Behörde für zuständig erklären wollen, die Möglichkeit gehabt hätte, eine klare Formulierung zu wählen, wie z.B. in Art. 76 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (PatG; SR 232.14), wonach die Kantone eine Gerichtsstelle bezeichnen, "welche für das ganze Kantonsgebiet als einzige kantonale Instanz entscheidet". Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass erstinstanzliche Gerichte - im Gegensatz zu kantonalen Verwaltungsbehörden - typischerweise nur für einen Teil des Kantonsgebiets zuständig sind, weshalb sich die Klarstellung "für das ganze Kantonsgebiet" eher aufdrängt als im Kontext des Raumplanungsgesetzes.

3.2.2 Auch in Art. 26 RPG hat der Gesetzgeber die Formulierung "eine kantonale Behörde" (Abs. 1) bzw. "die kantonale Behörde" (Abs. 3) verwendet. In diesem Zusammenhang (Genehmigung derBGE 128 I 254 S. 258

Nutzungspläne und ihrer Anpassung) wird jedoch - soweit ersichtlich einhellig - die Auffassung vertreten, es müsse sich um eine kantonale Zentralbehörde handeln, wie z.B. das Baudepartement, die kantonale Raumplanungsfachstelle, den Regierungsrat oder den Grossen Rat (RUCH, RPG-Kommentar, Art. 26 Rz. 9; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 26 Rz. 6: "die Spitze des beaufsichtigenden Gemeinwesens"; für den Kanton Bern vgl. Art. 61 Abs. 1 BauG: zuständig ist die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion). Davon geht auch Art. 47 Abs. 1 RPV aus ("erstattet der kantonalen Genehmigungsbehörde ... Bericht"). Es liegt nahe, Art. 25 Abs. 2 RPG im gleichen Sinne zu interpretieren wie Art. 26 RPG (so ausdrücklich RUCH, a.a.O., Art. 25 RPG Rz. 25; zur grundsätzlichen Beziehung von Nutzungsplan und Ausnahmebewilligung vgl. PETER HEER, a.a.O., S. 61 ff.).

3.3 Im Folgenden ist daher zu prüfen, welche Regelungsabsicht der Gesetzgeber mit der streitigen Bestimmung verfolgte (zur Methodik vgl.BGE 128 I 34 E. 3b S. 40 f.). Hierüber kann die Entstehungsgeschichte von Art. 25 Abs. 2 RPG und seinen Vorgängerbestimmungen (Art. 25 Abs. 2 aRPG; Art. 29 Abs. 5 Raumplanungsgesetz vom 4. Oktober 1974 [BBl 1BGE 974 II 816]) Aufschluss geben.

3.3.1 Art. 29 Abs. 5 des in der Volksabstimmung verworfenen Raumplanungsgesetzes 1974 sah erstmals vor, dass Ausnahmebewilligungen "der Zustimmung der zuständigen kantonalen Behörde" bedürfen. Dieser Eingriff in die kantonale Verfahrenshoheit war im Parlament sehr umstritten.

Die Befürworter der Vorlage hielten die kantonale Zustimmung für erforderlich, um eine für den ganzen Kanton einheitliche Rechtspraxis zu gewährleisten (BR Furgler, AB 1973 S 117; SR Bodenmann, AB 1974 S 454; NR Muheim, AB 1974 N 1336 zu Art. 35 des Gesetzesentwurfs). Sie befürchteten, dass die Gemeindebehörden Pressionen ausgesetzt sein würden und nicht in aller Freiheit und Unabhängigkeit entscheiden könnten (NR König, AB 1974 N 102; NR Kloter, AB 1974 N 103, S. 1137; NR Müller, AB 1974 N 1136). Die kantonale Behörde habe dagegen den Überblick über die Praxis und werde sich an diese Praxis halten wollen und halten müssen, um sich nicht dem Vorwurf einer willkürlichen Entscheidung auszusetzen; ihre Entscheide würden auch in viel grösserem Umfang publik gemacht und unterlägen in viel grösserem Umfang der politischen Kontrolle durch die kantonalen Regierungen bzw. die kantonalen Parlamente (NR König, AB 1974 N 102).

BGE 128 I 254 S. 259

Die Gegner der Vorlage verwiesen dagegen auf die guten Erfahrungen mit kommunalen Baubewilligungsbehörden in ihrem Kanton und hielten eine zentralistische Lösung für unpraktikabel (vgl. Voten SR Vincenz, AB 1973 S 120; SR Krauchthaler, AB 1973 S 120; NR Schlumpf, AB 1974 N 103 f.). Eine kantonale Behörde, die unzählige Augenscheine im ganzen Kantonsgebiet vornehmen müsse, wäre überfordert (NR Brosi, AB 1974 N 1136; SR Vincenz, AB 1974 S 455: "Beamtentourismus auf Rechnung des Steuerzahlers"). Es sei Sache der Kantone zu entscheiden, wie sie die Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben durch die Gemeinden sicherstellen wollten (NR Bonnard, AB 1974 N 105). Für die Gewährleistung einer einheitlichen Praxis genüge der Erlass von Richtlinien (SR Vincenz, AB 1974 S 455).

In einzelnen Voten wurde auf die Möglichkeit der Delegation an dezentrale Kantonsbehörden, z.B. auf Bezirksämter, hingewiesen, um auch in grossen Kantonen eine praktikable Lösung zu erreichen (NR Weber, AB 1974 N 106; BR Furgler, AB 1974 N 109; SR Urech, AB 1974 S 456). Diesem...

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